Cyrion
Glaubwürdigkeit des friedlichen Bildes zu erhöhen.
Über den Teich hinweg konnte man hören, wie Ysemid wieder mit den Wächtern scherzte. Cyrion glitt wie ein huschender Schatten zwischen den Bäumen und Zelten hindurch, erreichte das Zelt Karuil-Ysems und betrat es ohne weitere Umstände.
Der Vater schlang Süßigkeiten in sich hinein, wie schon vorher, nach der - belauschten - Unterhaltung zu urteilen. Jetzt starrte der alte Mann ihn an, den Weinbecher in der einen Hand,
Zuckerwerk in der anderen.
»Die Wohltaten der Nacht«, sagte Cyrion. »Immer noch hungrig?«
Karuil faßte sich langsam.
»Ich hörte, du wärest krank.«
»Manchmal ist es möglich, einen Anfall hinauszuschieben oder zu verhindern. Im Augenblick habe ich keine Schmerzen und sehe sehr gut.«
»Warum bist du hier?«
»Ich sah Ysemid zu Eurem Zelt gehen.«
»Du hattest Angst um mich?«
Cyrion war gelinde erstaunt. »Welch anderen Grund hätte ich haben können?«
Karuil sank in die Kissen zurück, stellte den Weinbecher beiseite und langte nach einem Pokal mit Sorbett. Cyrion trat vor, nahm den Pokal und reichte ihn dem alten Mann. Als er sich zu Karuil beugte, geschah etwas, das anscheinend mit Cyrions linker Hand zu tun hatte. Ein matter Blitz fuhr von Karuils Hals bis zu seiner Schärpe hinab. Im gleichen Augenblick flog der Becher durch die Luft, eingehüllt in einen Sprühregen aus duftendem Fruchtsaft und Cyrion sprang zurück, das blinkende Messer in der Hand.
Mit aufgerissenem Mund starrte Karuil ihn an. So offen wie sein Mund war auch sein Gewand. Cyrions Messer hatte es vom Kragen bis zur Hüfte aufgetrennt, und zwischen den Stofflappen war die knorrige, dunkle Brust eines sehr starken und sehr alten Mannes zu sehen. Das und noch etwas. Über dem Herzen gab es zwei schwarze Wunden, zackig, tief und blutleer. Tödliche Wunden, die einen Monat oder mehr alt waren.
Ob Cyrion blasser war als vorher, war schwer zu sagen. Aber sehr leise machte er eine Bemerkung über Gott, die nicht den Beifall eines Priesters gefunden hätte.
Dann griff das untote Ding ihn an, mit einer Behändigkeit, die es nicht hätte haben dürfen, und in der rechten Hand, an der noch Schokolade klebte, hielt es Karuils Krummschwert.
Cyrion war nur mit einem Messer bewaffnet. Er duckte sich und kam mit einem Polster wieder hoch, das in seiner Reichweite gelegen hatte. Es fing den ersten Schwerthieb auf, was ihm nicht gut bekam. Der zweite Hieb wurde mit noch mehr Wucht geführt und schnitt das Polster beinahe in zwei Teile.
Als die größere Klinge in der Seide steckenblieb, stach Cyrion mit dem Messer nach Karuils Gesicht. Das Schwert kam frei und Karuil sprang zurück - eine Reflexbewegung, denn der Messerstich war nur eine Finte gewesen. Ohne Zweifel konnte Karuil weder verletzt noch getötet werden - beides war bereits geschehen, und doch sprang er hier herum wie eine Heuschrecke. Aber das, das war nicht Karuil.
Die Augen dessen, was einmal ein Mensch gewesen war, brannten voller Haß und zorniger Verwirrung. Cyrion sollte jetzt noch nicht sterben und die Zeit seines Todes wollte Ysemid selbst bestimmen, so viel hatte Cyrion herausgefunden. Ysemid, dessen Sklave dieses Ding war Cyrion glitt unter dem dritten Schwerthieb hinweg und schleuderte seinem Gegner die Reste des Polsters entgegen. Der Kissenstapel war die letzte Station seiner Reise. Als er ihn erreicht hatte, wobei er elegant der tiefhängenden Lampe auswich, drehte er sich um und machte eine eindeutig ermunternde Handbewegung in Richtung des lebenden Leichnams. Mit einem hungrigen Knurren warf dieser sich nach vorn. Cyrion sah ihm entgegen. Dann bewegte er sich wie ein Blitz.
Seine Hände packten die Bronzelampe und stießen sie durch das Zelt. Den Bruchteil einer Sekunde später und Cyrion lag bäuchlings auf den Kissen. Er schien dort gefällt worden zu sein, aber das Schwert hatte ihn nicht getroffen. Es zerteilte über ihm die Luft, die sichelförmige Klinge schnitt durch den leeren Raum, der von seinem Körper hätte ausgefüllt sein sollen. Dann ertönte ein anderes Geräusch: das unerbittliche, gedämpfte Dröhnen von schwerem Metall, das nachdrücklich mit einem menschlichen Schädel zusammenstieß.
Mit einem erstickten Grunzen taumelte das Geschöpf, das Karuil gewesen war, zurück und fiel. Cyrion seinerseits fuhr von den Kissen empor und sprang ihm nach. In weniger als einem Augenblick hatte er den klauenbewehrten Fingern das große Schwert entwunden. Kaum einen Atemzug
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