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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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sein?«
    »Bis ich mit dir fertig bin.«
    »Bis du sicher bist?« Die alten Augen glitzerten wie Messerspitzen. »Aber wie kannst du jemals sicher sein, lieber Sohn? Du hast mit uns gespielt; wie sollten wir dich da je vergessen?«
    »Du vergißt schon. Du vergißt, daß ich eine Sicherheit habe.«
    »Eines Tages könnte deine Sicherheit verloren gehen.«
    »Das glaube ich nicht. Und nun berichte mir, was der Westländer dir in diesem Zelt gesagt hat.«
    Karuil-Ysem schob ein mit Puderzucker bestäubtes Stück Lakritz in seinen Mund und kaute, während der junge Mann die Stirn krauste und unruhig die Fäuste ballte. Schließlich war Karuil fertig und antwortete: »Er sagte, was du erwartest hast, das er sagen würde, nachdem er gekommen war, wie du es erwartet hast. Er sagte, er wüßte, daß ich mich von dir bedroht fühle und daß er mir gegen dich beistehen würde. So bat ich ihn, auf mein Zeichen zu warten. Aber da ist noch etwas.«
    »Und was?«
    Karuil hob ein Stück Nougat an die Lippen, und mit einem Fluch trat Ysemid einen Schritt vor. Karuil senkte die Hand mit der Süßigkeit und strahlte ihn hinterhältig an. »Daß die Krankheit, von der er sprach, ihn tatsächlich befallen hat; denn er hat es vor mir zugegeben.«
    Ysemid vergaß das kleine Ärgernis und nickte.
    »Das dachte ich, obwohl es sich unglaubhaft anhört. Er verkroch sich in seinem Zelt. Er hat einen Anfall. Einer, den ich nach ihm schickte, fand ihn schlafend wie einen Toten – oder Betäubten. Wie dem auch sein mag, ich habe diese weiße Hauskatze nie gefürchtet.«
    »Nein, geliebter Sohn?«
    Ysemid schlug den alten Mann ins Gesicht, so daß er zwischen die Kissen und die Süßigkeiten fiel. Auf dem Boden liegend zischte Karuil: »Geh behutsam mit mir um. Ich bin morsch und könnte zerbrechen. Das würde nicht in deine Pläne passen.«
    »Und du, widerwärtiger Freund, paß auf! Die Süßigkeiten können für dich ebenso schädlich sein wie meine Faust.«
    »Es ist ja nur für kurze Zeit«, sagte der gefällte König. »Es gelüstet mich nach dem Ungewohnten. Ich bin dein Sklave. Etwas mußt du mir zugestehen.«
    »Sehr bald wirst du haben, wonach es dich eigentlich gelüstet.«
    Karuil richtete sich wieder auf. Die Bewegung war eigenartig flüssig und schlangengleich.
    »Du meinst die Freiheit? Ja, danach gelüstet es mich. Wie meine Schwester auch. Solche wie uns zu binden, o Bürschchen, heißt, in einem Korb aus trockenen Weiden ein Feuer zu entzünden.«
    »Tatsächlich? Wir werden sehen.«
    Ysemid hob den Vorhang vom Eingang. Als er aus dem Zelt trat, blickte er zu den Sternen hinauf und dann über die Schulter auf die unheimliche Gestalt zwischen den Kissen. Laut: »Gottes Segen auf Euch, mein Vater.«
    Das Gesicht zu einer furchtbaren Fratze verzogen, antwortete Karuil: »Und das Licht des Himmels scheine auf dich, Ysemid.«
    Ysemid kehrte nicht gleich zu seinem eigenen Zelt zurück. Er schlenderte zum Rand der Oase, wo mit den Palmen auch die Zelte aufhörten. Ein letzter zersplitterter und sterbender Baum erhob sich dort, mit einem letzten Zelt darunter. Leise trat Ysemid heran, hob den Vorhang und blickte hinein. Im Licht der Sterne erkannte er den schlafenden Mann, der sich in das Schwarz der Nomaden gehüllt hatte. Eine Strähne blonden Haares fiel seidig über eine mit funkelnden Ringen geschmückte Hand. Daneben lag griffbereit das Schwert. Aber Cyrion, so schien es, schlief wie der Mond in dieser Nacht. Es wäre ein leichtes gewesen, ihn jetzt zu töten, aber unter diesen Umständen würde sein Tod nicht gut aussehen. Es gab reizvollere Arten.
    Ysemid ließ den Vorhang fallen und ging. Aus dem Schatten zweier Palmen schaute Cyrion ihm nach.
    Cyrion, das Haar - von dem er sich vorher eine Strähne abgeschnitten hatte - mit Asche eingerieben und in der schwarzseidenen Kleidung der Westländer, die er unter seinem Nomadengewand trug, war in der mondlosen Nacht kaum zu erkennen. Nicht einmal die Ringe funkelten an seiner linken Hand, denn diese eine Mal hatte er sie abgenommen und an fünf Schilfrohre gesteckt, die nun unter dem abgeschnittenen Haar über dem Schwert neben dem ausgestopften Gewand lagen. Nur das Messer hatte er mitgenommen. Diese aufwendigen Vorbereitungen waren ein voller Erfolg gewesen. Den Freund Ysemids, der vor einer Stunde aufgetaucht war, um Cyrion zu besuchen, hatten sie jedenfalls überzeugt. Vielleicht hatte der schläfrige Seufzer, den Cyrion großzügig beigesteuert hatte, noch dazu beigetragen, die

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