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Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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sie selbst getroffen hat. Weder dafür, dass sie nicht verhütet hat (»Deinetwegen musste ich meine Ausbildung abbrechen!«), noch dafür, dass sie Partnerschaftsprobleme hat. (»Du bist genau wie dein Vater!« – Klar, wie soll er sonst sein? Schließlich stammen fünfzig Prozent seines Erbmaterials von dem Mann, von dem sie sich hat schwängern lassen.)
    Und natürlich sollte man einem Kind auch andere Dinge nicht vorwerfen, für die es weniger als gar nichts kann. Ich weiß nicht, wie oft ich von meinen Patienten gehört habe: »Ich hätte ein Junge sein sollen«, seltener, aber durchaus auch einige Male: »Ich hätte ein Mädchen sein sollen.«
    Selbst wenn man schon vierzehn Mädchen und keinen einzigen Sohn hat, sollte man sich nur dann für eine weitere Schwangerschaft entscheiden, wenn man sicher ist, dass man die fünfzehnte Tochter mit der gleichen Freude im Leben willkommen heißen könnte wie den ersten Sohn. Wenn man das nicht kann, sollte man auf ein weiteres Kind verzichten. Was glauben Sie, wie ein Mensch sich fühlt, wenn er genau weiß: Ich bin nichts als die Niete in einer Lotterie? Ich bin nur gezeugt worden, weil ich etwas anderes hätte werden sollen als das, was ich bin, und wenn meine Eltern gewusst hätten, was dabei herauskommt, hätten sie es bleiben lassen?
    Einige meiner Patienten haben die übelsten Varianten erlebt, vom kleinen Jungen, der bis zum vierten Lebensjahr im Kleidchen und mit langen Haaren herumlief, weil die Mutter sich doch so sehr eine Tochter gewünscht hatte, bis zum neugeborenen Mädchen, dessen Vater aus Kummer über das »falsche« Geschlecht des Kindes erst einmal verschwand, um sich eine Woche lang volllaufen zu lassen, oder der aus Trotz auf dem Standesamt einen Jungennamen eintragen ließ. In all diesen Fällen führte ein solches Verhalten dazu, dass die Mädchen Probleme hatten, sich später wirklich als Frau zu sehen, und die Jungen, sich irgendwann als Mann zu erleben. (Ich spreche nicht von Transsexualität, das ist etwas anderes und hat andere Ursachen.)
    Um ein ausreichend gutes Elternteil zu sein, ist es nicht einmal unbedingt nötig, besondere Dinge zu tun. Mitunter qualifiziert man sich allein dadurch, dass man falsche Dinge bleiben lässt. Und schon sind wir wieder bei der Impulskontrolle.
    Von mehreren Patientinnen, die große Probleme hatten, ihren Körper zu akzeptieren, habe ich gehört, dass ein Elternteil ständig etwas zu kommentieren hatte. Seien es die vermeintlich krummen oder zu dünnen Beine, ein angeblich dickes Hinterteil, in der Pubertät gern auch ein Busen, der sich nach Meinung der Eltern in seinem Wachstum zu flott oder zu zögerlich verhielt.
    Die Aufgabe der Eltern ist es, die Wunden, die ihrem Kind von einer oft rauen Umwelt geschlagen werden, zu heilen und ihm zu einem gesunden Selbstbewusstsein zu verhelfen. Ihre Aufgabe ist es nicht, und ich wiederhole mich da gern noch einmal, sich wie ein bösartiges älteres Geschwister zu verhalten.
    Natürlich ist es ungeheuer verlockend, seinen Frust und seine eigenen Probleme an jemandem auszulassen, der völlig abhängig von einem ist und sich noch nicht wehren kann. Von etlichen Patienten habe ich gehört, dass ihre schlagenden Eltern ihre Gewalttätigkeiten irgendwann von einem Tag auf den anderen eingestellt haben. Meist geschah das, als die Kinder zwischen fünfzehn und siebzehn Jahren alt waren. Und es passierte nicht etwa, weil sie plötzlich zu einer vernünftigen Einsicht gelangt wären. Es geschah dann, als die Kinder begannen, zurückzuschlagen. Oder es zumindest androhten.
    Die ausreichend gute Mutter sieht das Kind als Geschenk, als etwas aufregend Neues, Unbekanntes, bei dem es Spaß macht zu entdecken, was alles in ihm steckt. Als eine seltene, exotische Pflanze vielleicht, von der es keine Abbildung gibt, nur ein paar Pflegehinweise. Jedenfalls ist ein Kind nichts, das man irgendwo bestellt hat und das man zurückgeben kann, weil es nicht exakt den eigenen Vorstellungen entspricht. Kinder sollten bekommen, nicht geben müssen. Als schönste Begründung für den Wunsch, Kinder in die Welt zu setzen, habe ich einmal von einem Paar gehört: »Wir haben so viel Liebe, dass wir noch etwas davon abgeben können.« Schlimm hingegen ist es, wenn das kleine Wesen schon mit einer Aufgabenliste auf die Welt kommt. Es soll (Sie kennen es, der Klassiker) die Beziehung der Eltern kitten. Es soll im Leben erreichen, was den Eltern versagt blieb. Es soll dafür sorgen, dass die Mutter,

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