Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
gar nicht mit einem Schreibtisch dazwischen, sondern die Sessel werden mehr oder weniger im rechten Winkel zueinander stehen. Das hat den Vorteil, dass man sich anschauen kann, wenn man mag, dass der Patient aber auch vor sich hinschauen oder den Blick des Therapeuten meiden kann, ohne sich deshalb unhöflich fühlen zu müssen.
Ah, es klingelt. Der erste Patient. In diesem Fall handelt es sich um ein Erstgespräch. Wir können also gleich beobachten, wie eine Therapie beginnt. Zumindest, wie dieser Therapeut es handhabt. Und wir dürfen sozusagen durchs Schlüsselloch zuschauen.
Der Therapeut bittet den Patienten, Platz zu nehmen. Der Patient scheint etwas verunsichert zu sein und nicht recht zu wissen, wie er beginnen soll. In der ersten Stunde nicht zu wissen, wie man anfängt und was man am besten sagt, muss niemandem unangenehm sein. Selbst wenn man der allererste Patient dieses Therapeuten ist, hat der während seiner Ausbildung schon einmal einem Patienten gegenübergesessen. Er weiß also, wie Therapie geht. Der Patient muss das nicht wissen. Je nach Therapieform und persönlichem Geschmack wird der Therapeut das Gespräch mehr oder weniger stark strukturieren, wird Fragen stellen oder aber den Patienten erst einmal erzählen lassen. Vielen Patienten wäre es am liebsten, wenn der Therapeut ihnen ausschließlich Fragen stellen würde und sie nur antworten müssten. Vielleicht gerät er aber an einen, der sich diesbezüglich stark zurückhält.
Wir scheinen hier so ein Exemplar des eher schweigsamen Therapeuten erwischt zu haben. Der Patient sollte sich dadurch jedoch nicht verunsichern lassen. Dieser Therapeut möchte ihn so kennenlernen, wie er ist, um ihm umso besser helfen zu können.
Vielleicht wäre es dem Patienten lieber, er könnte seine Schüchternheit auf einer Skala von eins bis zehn ankreuzen, während er sich hinter seinen Haaren versteckt, damit der Therapeut nicht sieht, dass er rot geworden ist. Auch wenn es vielleicht nicht angenehm ist, herumzustottern und das Gefühl zu haben, sich heillos zu blamieren: Wenn der Therapeut sieht, was das Problem ist, kann er besser helfen, als wenn er lediglich feststellt, dass der Patient die Zehn angekreuzt hat.
Die Verunsicherung des Patienten rührt daher, dass er sich in einer ihm unbekannten Situation befindet und alles richtig machen möchte. Dass man ihm das anmerkt, muss ihm nicht peinlich sein, denn dieser Wunsch gehört zu ihm. Nichts, was zu ihm gehört, muss ihm hier unangenehm sein. Und schon hat der Therapeut etwas über diesen Patienten gelernt: Das ist einer, der es seinen Mitmenschen gern einfach macht.
Für den Patienten wiederum ist es wichtig zu begreifen, dass es nicht seine Aufgabe ist, den Therapeuten zu unterhalten. Nie! Wenn der Therapeut sich in der Stunde langweilt, hat er etwas verkehrt gemacht. Er ist für den Patienten da, dafür, ihm zu helfen. Genau das ist der Unterschied zu einer Freundschaft: Der Patient muss nicht darauf achten, dass der andere auch auf seine Kosten kommt. Hier geht es nur um ihn.
Falsch machen kann der Patient nichts, zumindest, solange er nicht die Einrichtung demoliert oder den Therapeuten körperlich attackiert. Er muss auch nicht überlegen, wie andere Patienten die Therapie oder einzelne Sitzungen beginnen. So, wie wir die Patienten ermutigen, Individuen zu sein, erlauben wir ihnen auch, in der Sitzung sie selbst zu sein. Der Therapeut wird schon für sich sorgen. Wenn er jemand ist, der häufiger unterbrechen möchte, wird er von Anfang an häufiger unterbrechen. Wenn er einer ist, der sich mehr zurückhält, wird er sich von Anfang an zurückhalten. Der Patient muss keine Angst haben, ihn totzuschwätzen, nur weil er wenig sagt. Der Therapeut, der sich totschwätzen lässt, weil er zu höflich ist, den Patienten zu unterbrechen, ist sein Honorar nicht wert.
Ich vergleiche die ersten Sitzungen mit einem neuen Patienten oft mit einem Puzzle. Jedes Mal bringt er ein paar Teilchen mit, und es ist völlig gleichgültig, aus welchem Teil des Bildes sie stammen. Vielleicht geht er systematisch vor, liefert zunächst einmal Fakten und erzählt alles, wovon er denkt, der Therapeut müsse es wissen. Beim Puzzle würde das dem Vorgehen entsprechen, erst einmal die Randstücke zu suchen, um der Sache einen Rahmen zu geben.
Oder er ist eher der emotionale als der faktenorientierte Typ und beginnt gleich mit dem, was ihn zurzeit am meisten beschäftigt. Beim Puzzlen würde das dem Vorgehen entsprechen,
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