Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
es müsse sich um ein riesiges schreckliches Monster handeln, das ihn verursacht.
Irrtum.
Die Soforthilfe in der Psychotherapie besteht darin, dafür zu sorgen, dass zumindest keine neuen kleinen Gefühle mehr in den Keller geworfen werden. Das tut der Therapeut, indem er den Patienten beispielsweise jedes Mal unterbricht, wenn der sich selbst beschimpft, oder wenn er elegant über ein Gefühl hinweggeht, von dem der Therapeut der Meinung ist, es lohne sich, es wahrzunehmen. Statt es die Kellertreppe hinunterzuschubsen und einzusperren.
Die weitere Arbeit besteht darin, die Kellertür aufzuschließen und all die kleinen Gefühlchen freizulassen. Ganz behutsam, Stück für Stück. Und nicht wie bei Hitchcock alle auf einmal.
Wenn Weinen, Schreien und große Szenen für Sie jedoch unverzichtbar dazugehören – es gibt Selbsterfahrungsgruppen, Psycho-Workshops und auch ganz seriöse psychotherapeutische Verfahren, bei denen Sie diesbezüglich auf Ihre Kosten kommen. Wenn Sie psychisch ausreichend stabil sind und an jemanden geraten, der erfahren ist und seine Sache gut macht, kann das eine spannende Erfahrung sein. Bei kassenzugelassenen Psychotherapeuten werden Sie auf derlei allerdings weitgehend verzichten müssen.
Okay, also nicht wie bei Hitchcock. Schauen wir einmal, wie eine Psychotherapie stattdessen aussieht. Zu Beginn der Behandlung kommt der Patient mit Symptomen. Ganz gleich, ob es sich dabei um Panikattacken, depressive Verstimmungen, Probleme im Leistungs- oder im zwischenmenschlichen Bereich handelt – er will sie einfach nur loswerden. Der Therapeut soll sie ihm irgendwie wegoperieren, und danach soll er wieder der Mensch sein, der er vorher war. Und gut ist. Schließlich ging es ihm doch schon einmal besser. Und genauso soll es wieder werden. Das ist in der Regel der Auftrag des Patienten an den Psychotherapeuten.
Manchen Patienten erkläre ich gleich am Anfang, dass sie nie mehr der Mensch sein werden, der sie vor dem Ausbruch der Symptomatik waren. Und dass sie wahrscheinlich auch ihre Symptome nicht mehr loswerden.
Es ist nicht schön, Schmerzen zu haben. Aber es ist gut, dass wir ein Schmerzempfinden besitzen. Dass wir merken, wenn wir uns geschnitten haben, damit wir die Wunde versorgen können, statt uns möglicherweise eine Blutvergiftung zuzuziehen. Es ist wichtig zu begreifen, dass Symptome kein überflüssiger Teil sind, ohne den man genauso gut und besser leben könnte, sondern dass sie ein gesunder Schutzmechanismus sind.
Auch psychische Symptome sind wichtig, so unangenehm sie sein mögen. Sie zeigen uns, dass etwas verletzt worden ist, dass etwas geschehen ist, das uns nicht guttut. Auch wenn es schwer ist, das zu akzeptieren: Die Symptome sorgen für uns. Vielleicht werden Sie das Symptom, das Sie in eine Psychotherapiepraxis führt, ein Leben lang behalten. Möglicherweise werden Sie es nach Abschluss der Behandlung über lange Zeit nicht mehr wahrnehmen. Aber irgendwann wird es sich vielleicht wieder melden.
Mit Hilfe dessen, was Sie in der Therapie gelernt haben, werden Sie es dann immer noch nicht wie einen geliebten, lange vermissten Freund begrüßen. Das wäre wirklich zu viel verlangt. Aber Sie werden es als eine Art Warnlampe ansehen können, die Ihnen signalisiert: Vorsicht! Du bist in Gefahr, wieder auf die falsche Spur zu geraten.
Dass Dinge bewusst werden, bedeutet nicht, dass nun alles wunderbar ist und man nur noch mit einem überirdischen Grinsen durch die Gegend läuft, als sei man in eine Gehirne waschende Sekte geraten. Es bedeutet lediglich, dass Dinge auf den Tisch kommen, statt sich in Form von Symptomen zu äußern. Das muss das Leben nicht unbedingt leichter machen. Unsere Aufgabe ist lediglich, Symptome zu heilen oder zumindest zu lindern.
Patienten brauchen meist einige Sitzungen, bis sie begriffen haben, dass es in der Therapie wirklich um sie geht. Oft verhalten sie sich, als gehe es um den Therapeuten. Als müssten sie dafür sorgen, dass er alles erfährt, was er wissen muss, sogar darum, dass er sich nicht langweilt. Darum, den Erwartungen des Therapeuten zu entsprechen. Mitunter müssen sie sogar erst lernen, im Mittelpunkt zu stehen. Weil es vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben so ist.
Schließlich haben die Patienten höchstwahrscheinlich unreife Eltern gehabt, die mit sich selbst beschäftigt waren. Sie hatten keine Kraft und keine Energie für ihre Kinder übrig, haben ihnen selten richtig zugehört und sind kaum auf sie eingegangen.
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