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Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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in Versuchung, irgendwann verzweifelt zu fragen: »Wollen Sie nicht wenigstens einmal einen Volkshochschulkurs besuchen?«
    Sollten Sie jemanden kennenlernen, der Analphabet ist und darunter leidet, der etwas dagegen tun möchte und nicht weiß, dass die VHS für Menschen wie ihn Kurse anbietet – dann dürfen Sie das V-Wort aussprechen. Ansonsten sollten Sie es tunlichst unterlassen.
    Nein, Psychotherapeuten geben keine Ratschläge. Wenn wir daran glauben würden, dass Ratschläge funktionieren, säßen wir in lockerer Kleidung zu Hause, würden Ratgeberliteratur schreiben und müssten nicht hinaus ins Kalte.
    Wir glauben nicht an Hilfe von der Stange, sondern an Maßgeschneidertes. Für uns ist es gerade schön, dass wir den Patienten nicht etwas verkaufen, das sie zu Hause auspacken, sondern dass wir die Fortschritte miterleben können. Schließlich sind spätestens das die Momente, in denen uns wieder einfällt, warum wir diesen Beruf ergriffen haben.
    Der Therapeut ist nicht der Guru, der über ein Geheimwissen verfügt, das er nur seinen Patienten gegenüber aus der Tasche holt. Er versucht nicht, dem Patienten etwas überzustülpen, sondern ihn so kennenzulernen, wie er ist. Er versucht, unabhängig von seiner therapeutischen Ausrichtung, dem Patienten zu erklären, warum Dinge bei ihm so sind, wie sie sind, um bei ihm Verständnis für sich selbst zu wecken.
    Hauptziel beinahe jeder Behandlung ist, dass es dem Patienten besser gelingt, ein Leben zu führen, das zu ihm passt, das ihn nicht allzu sehr gegen den Strich bürstet und krank macht. Dazu gehört, zu erkennen, was die eigenen Stärken sind, sie weiter zu kultivieren und psychologisches Muskeltraining mit den Seelenteilchen zu machen, die bisher etwas geschwächelt haben.
    Ebenso, wie der Therapeut keine Ratschläge erteilt, legt er auch nicht fest, was die Ziele der gemeinsamen Arbeit sein sollen. Das tun er und sein Patient gemeinsam. Er hilft ihm lediglich dabei, sie für sich festzulegen. Oft fällt das dem Patienten nicht ganz leicht, denn sein einziges Ziel besteht darin, die unangenehmen Symptome loszuwerden. Und er ist überrascht, wenn er feststellt, dass dies dem Therapeuten nicht das Wichtigste zu sein scheint.
    Gemeinsam wird man versuchen herauszufinden, was genau sich ändern müsste, um wenigstens einigermaßen symptomfrei zu werden. Zwischendurch, vor allem wenn es um die Frage geht, ob weitere Stunden bei der Krankenkasse beantragt werden sollen, ist es nötig, die Frage nach den Zielen erneut zu stellen und sie eventuell zu verändern. Wenn man weiß, wohin die Reise gehen soll, ist es einfacher, festzustellen, ob man sich noch auf dem richtigen Kurs befindet.
    Aber gibt es nicht auch Risiken und Nebenwirkungen? , werden Sie einwenden.
    Vielleicht kennen Sie jemanden, der von jemandem gehört hat, der einmal eine Psychotherapie gemacht hat und der seitdem ganz doof geworden ist, ein richtiger Egoist.
    Natürlich kommen manchmal auch Patienten, die von ihren Mitmenschen als schwierig empfunden werden. Allerdings ist das Problem unserer Patienten häufiger, zu pflegeleicht zu sein. Zu uns kommen eher die Opfer als die Täter, was eigentlich auch ganz logisch ist. Als Opfer leide ich. Als Täter leide ich meist erst dann, wenn ich keiner mehr sein darf. Mitunter weise ich Patienten darauf hin, dass sie hinterher eventuell nicht mehr ganz so pflegeleicht sein werden wie zuvor. Ein Risiko, das die meisten bereit sind, einzugehen.
    Nicht allen Angehörigen und Freunden schmeckt das. Da hat man jemanden in Therapie geschickt, weil man ihm etwas Gutes tun wollte, und stattdessen hat er dort gelernt, die Hand zu beißen, die ihn füttert. Aus der vormals so netten Freundin ist eine Egoistin geworden.
    Das kann passieren, wenn man jemandem eine Psychotherapie empfiehlt. Dass der Betreffende sich weigert, dort das zu lernen, was man für nötig hält, und stattdessen einfach lernt, was ihm guttut. Außerdem verhält es sich mit dem, was man in der Psychotherapie lernt, nicht viel anders als generell mit den Dingen des Lebens: Man muss erst einmal die richtige Dosis finden.
    Ich erinnere mich noch an meine allererste Fahrstunde. Ich hatte noch nie hinter dem Steuer eines Autos gesessen, und als ich aufs Gaspedal trat, machte der Wagen einen Satz vorwärts. Ich musste erst lernen, die Kraft zu dosieren. Nein, die Geschichte, wie ich meinem Fahrlehrer fast die Hand abgefahren habe, erzähle ich nicht. Es wird schon einen Grund geben, warum ich

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