Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
Schublade bereits ein Türschild mit seinem Namen liegen. Mit einem »Dr.« davor.
Ziel einer Psychotherapie ist es, zu erkennen, wo man bisher stets den ausgefahrenen Spurrillen seines Lebens gefolgt ist. Es geht darum, die vielen kleinen Weggabelungen wahrzunehmen, die man zuvor übersehen hat, wenn man auf seiner Lebensautobahn unterwegs war. Und plötzlich festzustellen: Ich habe schon gesehen, dass da ab und zu mal jemand reinfährt, auch von meinen Freunden. Aber dass ich selbst diesen Weg einmal ausprobieren könnte – auf die Idee bin ich gar nicht gekommen.
Auch dieser Patient wusste, dass es Berufsmusiker gibt, und sicher hatte er auch schon erlebt, dass einer seiner Kommilitonen das Studium abgebrochen hatte. Nur für ihn selbst war das bisher nicht denkbar, war diese Möglichkeit nicht einmal wahrnehmbar gewesen.
Nachdem in der Therapie nun alles auf dem Tisch lag, war der junge Mann imstande, Alternativen zu erkennen. Bisher hatte er nur einen Weg gesehen: Wenn ich diese letzte Prüfung mache, werde ich in einem Beruf landen, der mir nie wieder Zeit für die Musik lässt. Kein Wunder, dass sein Es die Ärmchen verschränkte und beschloss, da nicht mitzuspielen. Der erste Impuls des Patienten, nachdem er das erkannt hatte, war, alles hinzuschmeißen, Jahre des Studiums hinter sich zu lassen und sich ganz seiner Musik zu widmen. Diese Vorstellung erschien ihm wie eine Befreiung. Das Es aus dem Keller stand kurz davor, den Bewohner des Dachgeschosses aus dem Haus zu jagen.
Nach einigen weiteren Sitzungen begriff er jedoch, dass er sich damit ebenso einschränken würde wie mit seinem bisherigen Weg. Er sah ein, dass er viel mehr Möglichkeiten hätte, wenn er die Prüfung bestehen würde. Er könnte danach zu seinen Eltern gehen und ihnen sagen: Ich habe es geschafft. Das ist mein Geschenk an euch. Aber ab jetzt gehe ich meinen eigenen Weg.
Er überlegte, ob es nicht doch Möglichkeiten gäbe, den brotbringenden Beruf vielleicht halbtags auszuüben, um sich mit dem beruhigenden Gefühl, auch am Monatsende noch etwas im Kühlschrank vorzufinden, der Musik widmen zu können. Dem Ich war es gelungen, Es und Über-Ich miteinander auszusöhnen.
Welche Entscheidung der junge Mann letzten Endes getroffen hat, weiß ich nicht. Bald darauf war die Behandlung zu Ende. Nachdem der Patient die Abschlussprüfung erfolgreich abgelegt hatte.
Ich hoffe, er hat nicht vergessen, dass es einen wichtigen Teil von ihm gibt, der beachtet werden möchte. Der Künstlerteil, nicht der Teil, der von den geplatzten Lebensträumen des Vaters gesteuert wird.
Was in dieser Behandlung passiert ist, ist nicht untypisch. Oft beginnt das Erwachsenwerden damit, dass man anfängt, Dinge zu tun, die den Eltern nicht gefallen. Üblicherweise ist das in der Pubertät der Fall. Und das Erwachsenwerden ist dann vollendet, wenn man souverän genug ist, Dinge tun zu können, obwohl sie den Eltern gefallen.
Wer nur den ersten Teil zustande bringt, sich endlich abzunabeln und seinen eigenen Weg zu gehen, bleibt unter Umständen für den Rest seines Lebens in einer pubertären Trotzphase stecken. Ums Verrecken würde er nichts tun, das seine Eltern auch nur im Entferntesten gut finden könnten. Wer sich so verhält, grenzt sich mit seinen Möglichkeiten genauso ein wie jemand, der stets nur das tut, was Papa und Mama gefällt. Erst wenn man seine Entscheidungen völlig frei treffen kann von dem, was die Eltern nicht gut finden, aber auch von dem, was sie gut finden, ist man wahrhaft erwachsen.
Wie es beim Tiefenpsychologen zugeht, können Sie sich jetzt vielleicht ein bisschen besser vorstellen. Jetzt wollen Sie bestimmt auch noch wissen, was ein Verhaltenstherapeut so tut.
Ihr Wunsch ist mir Befehl. Schauen wir also einem Therapeuten über die Schulter, der mit dieser Methode arbeitet.
Frau Sork räumt auf
Kommen Sie schnell, wir müssen leise sein, offenbar hat die Sitzung schon angefangen. Die Patientin erzählt gerade von einem langen Telefongespräch mit einer Freundin, das sie am Abend zuvor geführt hat. Schon seit Jahren hat die Freundin eine Beziehung zu einem verheirateten Mann, der seine Frau nicht verlassen kann. Natürlich geht es auch bei diesem Telefonat wieder einmal darum. Die Patientin hört sich zum x-ten Male die Probleme der Freundin an und merkt, dass es ihr dabei immer schlechter geht.
Die Therapeutin beginnt mit einer Verhaltensanalyse , bei der versucht wird, verschiedene Aspekte der Psyche in einer für die
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