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Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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gehört auch, dass der Therapeut etwas tut, was normalerweise im Gespräch als höchst unhöflich gilt. Er unterbricht den Patienten. Selbstbeschimpfungen lässt er nicht durchgehen, sondern er weist den Patienten, dem sie wahrscheinlich gar nicht auffallen, darauf hin, dass er mit sich selbst in einer Weise umgeht, wie er es bei seinen Bekannten niemals tun würde.
    Diese Unterbrecherei kann einem Patienten gehörig auf die Nerven gehen. Schließlich weiß er, was er erzählen möchte. Wie soll das gehen, wenn er ständig unterbrochen wird? Er muss erst lernen, dass es dem Therapeuten um etwas anderes geht, und dass das Wie mitunter wichtiger ist als das Was .
    Manchmal kann er auch das Gefühl bekommen, alles, was er sagt, werde auf die Goldwaage gelegt. Stimmt. Dass jemand meint, was aus dem Mund des Patienten kommt, sei wertvoll und wichtig, ist bisweilen ein irritierender Kontrast zu der inneren Stimme, die meint, man rede mal wieder kompletten Müll.
    Vor vielen Jahren kam ein Patient zu mir in Behandlung, der darunter litt, dass er in seinem Studium schon zweimal durch die wichtige, alles entscheidende Abschlussprüfung gerasselt war. Er hatte noch einen Versuch. Wenn der auch wieder in die Hose ging, würde er sein Studium in die Tonne treten können. Der Patient glaubte auch ganz genau zu wissen, was schiefgelaufen war. Er war stinkend faul, mied seinen Schreibtisch wie der Teufel das Weihwasser und schaffte es einfach nicht, sich zu organisieren.
    Ich sah schon wieder den strengen Dachgeschossbewohner in seinem Kopf vor mir, der zu mir sprach: »Dem müssen Sie tüchtig den Marsch blasen, dem faulen Hund, der will nichts schaffen, dem müssen Sie Disziplin einbläuen, wenn es sein muss, mit dem Rohrstock.«
    In der Tat hatte ich es schon mehrfach mit Patienten zu tun, die meinten, bei ihnen hülfe die sanfte Tour nichts, ihnen müsse man gehörig in den Hintern treten. Den Teufel habe ich getan.
    Und mit dieser Faulheitsgeschichte, die viele Patienten einem aufbinden wollen und an die sie ja tatsächlich glauben, braucht man mir schon gar nicht zu kommen. Es gibt keinen einleuchtenden Grund, warum aus einem Kind, das neugierig aufs Leben ist, plötzlich ein Erwachsener wird, der nicht mehr lernen möchte. Zumindest ist das nichts, das »einfach so« passiert.
    Den Patienten mit den Prüfungsproblemen und der angeblichen Faulheit stellte ich vor die Wahl, eine Verhaltenstherapie zu machen oder bei mir eine tiefenpsychologische Behandlung zu beginnen. Ich schilderte ihm die Verhaltenstherapie auf das Verlockendste und meinte, dort bekäme er alle Unterstützung, die er brauche, um seine Prüfung dieses Mal zu schaffen. Wenn er bei mir in Behandlung bleibe, würde ich mich für die lebensgeschichtlichen Hintergründe seiner Probleme interessieren. Nicht, dass die Verhaltenstherapeuten das nicht tun, nur eben nicht so ausufernd wie wir. Das Ganze sei aber völlig ergebnisoffen, und ich könne ihm nicht versprechen, dass er seine Prüfung dann packen werde.
    Bis heute weiß ich nicht, warum er sich letztlich für eine tiefenpsychologische Behandlung entschieden hat. Ach Quatsch, natürlich weiß ich es. Offenbar hatte ich jemanden auf meiner Seite, der in seiner Abstellkammer im Keller gefangen war. Ein kleiner, verschüchterter Teil des Patienten, der es satt hatte, ständig als faul und unfähig beschimpft zu werden. Und dieser Teil hatte sich ausnahmsweise einmal durchgesetzt.
    Jedenfalls stellte sich im Verlauf der Behandlung heraus, dass der junge Mann keinerlei Neigung gehabt hatte, das Fach zu erlernen, in dem er nun so schmählich versagte. Eigentlich hatte er Musiker werden wollen. Er spielte in einer Band und hatte auch regelmäßige Auftritte.
    In der tiefenpsychologischen Behandlung geht es immer um innere Konflikte. Der Konflikt, der in diesem Patienten tobte, war der Konflikt zwischen dem, was sein ganz und gar Eigenes war, was seinen Bedürfnissen entsprach, und dem, was seine Eltern wollten. Es und Über-Ich lagen also richtig fett im Clinch miteinander.
    Im ersten Kapitel hatten wir die Geschichte mit den Eltern, die durch ihre Kinder erreichen wollen, was ihnen selbst versagt blieb. Auch dies war so ein Fall. Der Vater des Patienten hätte gern studiert, allerdings kam der Krieg dazwischen. Also sollte der Sohn – das einzige Kind – diesen Traum verwirklichen. Natürlich würde der Sohn damit glücklich werden, da war sich der Vater völlig sicher. Und die Mutter des Patienten hatte in der

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