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Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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der Methoden, die der auf Lager hat.
    Zurück zum Instinkt
    Solange Patienten noch nicht vertraut sind mit dem Ablauf einer Psychotherapie, sagen sie zu Beginn der Sitzung oft etwas ratlos: »Ich weiß eigentlich gar nicht, worüber ich heute reden soll.« Das ist allerdings der falsche Ansatz. In der Therapie geht es nicht darum, worüber Patienten reden sollen. Sondern darum, worüber sie reden wollen.
    Oft denken diese Menschen, sie müssten im Vorfeld entscheiden, was wichtig und was unwichtig ist. Und manchmal sind sie zu Beginn irritiert, wenn der Therapeut bei etwas hängen bleibt, das sie selbst für unwichtig halten. Möglicherweise denken sie dann, er habe nicht wirklich verstanden, worum es bei ihnen geht. Vielleicht verwechsle er sie sogar mit einem anderen Patienten. Zumindest verunsichert es die Patienten, nicht zu wissen, welches Thema sie ihrem Ziel, dass es ihnen wieder besser geht, näherbringt, und welches in die Irre führt.
    Zudem können die Themen sich im Lauf der Zeit stark verändern. Am Anfang wird noch viel über das Symptom gesprochen, und man ist vielleicht verwundert darüber, dass der Therapeut auch über völlig andere Dinge reden will, die mit dem, was man selbst für sein wichtigstes Thema hält, anscheinend nicht das Geringste zu tun haben. Viele Patienten können sich erst mit der Zeit auf das einlassen, was ihnen das eingesperrte Kerlchen aus dem Kellerraum zuruft. Sie sind häufig beunruhigt, wenn die Stunde sie zu einem vermeintlich völlig anderen Thema führt. Manche werden dem Therapeuten gegenüber dann auch etwas vorwurfsvoll und sagen mit mahnender Stimme: »Beim nächsten Mal müssen wir aber besser darauf achten, dass wir beim Thema bleiben!«
    Wie man halt so redet, solange das Über-Ich noch Herr im Hause ist.
    Es ist ja auch wirklich ein bisschen gemein. Da haben Eltern und Lehrer – beide oft genug Helfershelfer des alten Herrn Über-Ich – viel Zeit und Mühe investiert, um einen davon abzubringen, den eigenen Bedürfnissen zu folgen. Und nun sitzt man beim Therapeuten, versucht, alles richtig zu machen, und plötzlich soll es wieder in die andere Richtung gehen. Man möchte alles ordentlich strukturieren wie in einem Deutschaufsatz, am besten noch mit Gliederung, und dann kommt dieser fremde Mensch daher und versucht einem weiszumachen, es solle etwas bringen, einfach alles auszusprechen, was einem in den Kopf kommt, möglichst unsortiert.
    Diese Patienten brauchen noch einige Zeit, um zu begreifen, dass das Kerlchen aus dem Kellergeschoss oft sehr viel besser weiß, was ansteht, damit im Haus wieder Frieden und seelische Gesundheit herrschen, als der Griesgram aus dem Dachgeschoss. Erst mit der Zeit machen sie die beruhigende und, wie ich finde, sogar wunderbare Erfahrung, dass alle Wege zum Ziel führen.
    Warum eigentlich halten wir uns so oft für weniger klug als Tiere? Tiere haben einen Instinkt, der ihnen zeigt, was zu tun ist, ohne dass sie dafür einen Coach konsultieren, darüber nachdenken oder endlos lange diskutieren müssen. Wenn sie müde sind, schlafen sie, wenn sie Hunger haben, fressen sie, wenn sie paarungsbereit sind, suchen sie sich einen Sexualpartner. Und sie können noch viel mehr. So suchen manche von ihnen, wenn sie krank sind, die für ihr Wehwehchen optimalen Heilpflanzen. Ohne vorher eine Internetsuchmaschine bemüht und den Namen der Krankheit eingegeben zu haben.
    Auch bei kleinen Kindern funktioniert das noch. Sie schlafen, wenn sie müde sind, ohne vorher auf die Uhr zu sehen und sich zu sagen: »Oh, wenn ich morgen fit sein will, muss ich mich aber langsam mal hinlegen.« Vielmehr würde man bei jedem Kind misstrauisch werden, das von sich aus auf eine solche Idee kommt. Kinder schreien, wenn sie Hunger haben, ohne vorher eine Kalorientabelle zu Rate gezogen zu haben. Wenn ihnen nach Bewegung zumute ist, laufen sie so lange im Kreis, bis ihnen schwindelig wird und sie umfallen, ohne vorher verkündet zu haben: »Ich bräuchte mehr Bewegung, ich glaube, ich melde mich mal in einem Fitnessstudio an.« Und Probleme, sich für ihre Arbeit zu motivieren, kennen sie ebenfalls nicht. Jedes Kind, das nicht krank oder behindert ist, kann es gar nicht erwarten, morgens aus dem Bett zu kommen, die Welt zu entdecken und zu lernen. Schlimmstenfalls, was passiert, wenn man eine Stricknadel in eine Steckdose ohne Kindersicherung steckt.
    Das instinktive Wissen unserer tierischen Vorfahren haben wir auch einmal besessen. In unserer Kindheit

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