Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
die Frage, ob Patienten sich manchmal in den Therapeuten verlieben.
    Ich würde es eher so formulieren: Sie glauben, dass sie es tun.
    Auch das ist eigentlich eine ganz gesunde Sache. Da ist jemand, der möglicherweise netter zu ihnen ist, als jemals jemand zuvor es war. Einem solchen Menschen gegenüber positive Gefühle zu entwickeln, ist das Normalste und Gesündeste der Welt. Genug Patienten haben sich in ihrem Leben wiederholt in jemanden verliebt, der ihnen nicht gutgetan hat. Es ist ein Zeichen der Gesundung, endlich einmal jemanden nett zu finden, der freundlich zu einem ist, der einen weder betrügt noch vergewaltigt noch krankenhausreif schlägt oder auch nur pausenlos abwertet.
    Positive Gefühle einer anderen Person gegenüber kann man sein Leben lang haben. Ich fand zum Beispiel eine meiner Erzieherinnen im Kindergarten ganz toll, weil ihre Hände immer nach den Apfelsinen dufteten, die sie für die Kinder geschält hat. Ab der Pubertät nennt man so ein positives Gefühl gern auch Verliebtsein. Vorher nennen nur andere Leute das so, zum Beispiel doofe Klassenkameraden, die meinen, der Welt verkünden zu müssen: »Die Lena ist in den Mirco verliehiehiebt!«
    In der Psychotherapie kommen bisweilen sehr, sehr alte Gefühle hoch. Und diese alten Gefühle sind meist ganz besonders heftig. Weil sie umso heftiger sind, je kleiner man ist. Wenn Sie das nicht glauben, vergegenwärtigen Sie sich den Unterschied zwischen einem erwachsenen Menschen, der sagt: »Schatz, ich hab Hunger. Wann gibt’s Essen?« und einem schreienden Säugling.
    Positive Gefühle, die in einer Psychotherapie entstehen, können mitunter eine frühkindliche Wucht entfalten. Dieser Zustand kann ein nüchternes Analysieren ausschließen, das vielleicht die Erkenntnis zutage fördern würde: Mensch, ist das schön, dass mal jemand so nett zu mir ist. Hab ich viel zu selten gehabt bisher in meinem Leben. Das muss anders werden. Vielleicht sollte ich mich von einigen Leuten verabschieden, die mir nicht guttun und mir stattdessen nettere Freunde oder Beziehungspartner suchen. Stattdessen weiß man die Gefühle nicht als solche einzuordnen, die man lange verdrängt hat, und der erwachsene Teil in einem sagt ebenso entschieden wie unrichtig: Verdammt, es ist passiert. Ich habe mich in meinen Therapeuten verliebt.
    Ein Säugling freut sich, wenn er die Mutter sieht, er wird ganz aufgeregt und zappelig und ist irritiert, wenn sie sich abwendet. Wenn uns diese Gefühle später im Leben noch einmal begegnen, nennen wir sie Verliebtsein. Die Gefühle, die in einer Psychotherapie entstehen können, haben jedoch viel mehr mit frühkindlichen Gefühlen zu tun als mit erwachsenem Verliebtsein. Schließlich kennt man den Menschen, der einem jede Woche gegenübersitzt und geduldig zuhört, nicht einmal richtig, beziehungsweise nur in seiner beruflichen Funktion.
    Im Grunde genommen handelt es sich also um eine Art Gefühlsverwechslung.
    Nun haben wir aber auch noch den anderen Beteiligten, den Therapeuten. Wenn er merkt, dass Sie glauben, in ihn verliebt zu sein, wird er darauf freundlich, aber professionell reagieren. Er wird Sie dafür weder beschämen, noch Sie ermutigen.
    Auf keinen Fall wird er sich auf eine Beziehung zu Ihnen einlassen, es sei denn, er legt es darauf an, seine Zulassung zu verlieren. Nein, dass der Therapeut sich in eine Patientin verliebt – oder die Therapeutin sich in einen Patienten –, ist nichts, das einfach mal so vorkommen kann. Ehrlich gesagt wird es von den meisten Therapeutenkollegen nicht viel weniger streng bewertet als die Vergewaltigung einer Patientin durch einen Frauenarzt. Oder als sexuelle Übergriffe gegenüber einem Kind. Denn so etwas Ähnliches ist es auch.
    Es ist normal, dass ein Kind Vertrauen zu einem Erwachsenen hat, auch, dass es sich auf seinen Schoß setzt und sich an ihn schmiegt. Wenn ein Erwachsener dies zur Befriedigung unreifer sexueller Bedürfnisse missbraucht, nennen wir ihn pervers und sperren ihn ein. Eine sexuelle Beziehung mit einem Patienten oder einer Patientin einzugehen, ist nichts anderes. Der Therapeut, der das tut, verkennt völlig den Charakter der Gefühle, die der Patient ihm entgegenbringt, ebenso sehr, wie manche Kinderschänder es tun.
    Gute Therapeuten sorgen für sich selbst, so, wie gute Eltern es tun, und dafür, dass ihre Beziehungen in Ordnung sind. Wenn es daran krankt, gehen sie zu einem Kollegen und schauen nach, woran es liegt, dass sie ihr Liebesleben nicht auf die

Weitere Kostenlose Bücher