Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
Reihe kriegen, anstatt sich von jemandem verführen zu lassen, der sie nicht einmal wirklich kennt, sondern für den sie lediglich eine Projektionsfläche für unerfüllte frühkindliche Wünsche darstellen.
Übrigens: Patienten müssen sich nicht in ihren Therapeuten verlieben. Es ist völlig in Ordnung, wenn sie es nicht tun. Die wenigsten Patienten tun es.
Nachdem ich mir nun ordentlich Mühe gegeben habe, Ihnen die Befangenheit gegenüber der Spezies Psychotherapeut zu nehmen, und nachdem es mir vielleicht sogar gelungen ist, einige winzig kleine Vorurteile abzubauen, halte ich Sie für gefestigt genug, dass wir uns der Frage zuwenden können, was denn in einer Psychotherapie schiefgehen kann.
Wenn ein Patient sich von Anfang an auf sein Gefühl verlässt, kann schon mal sehr viel weniger schiefgehen, als wenn er das nicht tut. Er muss nicht nach einer Stunde total begeistert vom Therapeuten sein. Wenn er anschließend jedoch ein richtig mieses Gefühl hat, ist das etwas anderes. Vielleicht bezieht es sich darauf, dass er gleich viel Vertrauen gefasst und sich gezwungen hat, Dinge anzusehen, die er sonst lieber ganz hinten im Wandschrank lässt. Vielleicht schämt er sich jetzt dafür, obwohl er das Gefühl hat, dass der Therapeut mit dem, was er erzählt hat, absolut respektvoll umgegangen ist. Sollte sich das miese Gefühl jedoch auf die Person des Therapeuten beziehen – dann sollte er sich schleunigst einen anderen suchen und sich nicht einreden, das sei schließlich der Fachmann, der wisse, was er tue. Selbst nach einigen Sitzungen kann der Patient die Behandlung noch beenden. Nur weil die Stunden von der Kasse bewilligt wurden, ist er nicht verpflichtet, bis zum bitteren Ende durchzuhalten.
Andererseits – ganz so einfach ist die Geschichte manchmal doch nicht.
Ebenso, wie ein Patient glauben kann, er habe sich in den Therapeuten verliebt, kann der ihm manchmal auch recht hassenswert erscheinen. Vor allem in der Psychoanalyse können sehr alte Gefühle ungefiltert zum Vorschein kommen, die sich dann möglicherweise auf den Therapeuten richten.
Man kennt das ja auch aus dem Alltag: Manche Menschen sind besonders freundlich und offen, andere besonders zurückhaltend. Diese Verhaltensweisen haben nichts mit dem jeweiligen Gegenüber zu tun, sondern werden bereits mitgebracht. Und haben, nach Meinung der Psychotherapeuten, Ursachen, die mit der Lebensgeschichte zusammenhängen.
Auch in der Psychotherapie zeigen sie sich. Mitunter kann es schwierig für den Patienten sein, auseinanderzuhalten, ob es wirklich der Therapeut war, über den er sich geärgert hat, oder ob die Ursache eine alte Wunde war, die der Therapeut nur – mehr oder weniger zufällig – berührt hat.
Vor allem Psychoanalytiker treffen deshalb mit Patienten gern die Vereinbarung, dass der Patient die Behandlung nicht einfach abbricht und auf Nimmerwiedersehen verschwindet, sondern dass er zumindest noch einige Stunden lang kommt, damit man gemeinsam sortieren kann, ob die Unzufriedenheit wirklich mit dem Therapeuten zu tun hat oder ob sie zum Patienten gehört. Ein Grund dafür ist, dass man sich selbst negative Erinnerungen verschafft, wenn man Dinge an dem Punkt abbricht, an dem sie am frustrierendsten sind. Sitzungen, die damit beginnen, dass der Patient sagt: »Eigentlich wollte ich gar nicht mehr kommen, aber ich möchte Ihnen doch noch sagen, dass ich mich über Sie geärgert habe«, sind oft besonders fruchtbar.
Wenn ein Patient eine Therapie einfach abbricht, ohne noch einmal mit dem Therapeuten gesprochen zu haben, macht er sich zum Kind, das sich versteckt, weil es Ärger fürchtet. Am Ende traut er sich nicht mehr in die Gegend, in der der Therapeut seine Praxis hat, weil er fürchtet, ihm zu begegnen. Und er bringt sich um die Möglichkeit, herauszufinden, dass hinter seinem Ärger vielleicht etwas völlig anderes steckt.
Schauen wir mal, was aus Therapeutensicht alles schiefgehen kann in einer Psychotherapie. Wenn ich an gescheiterte Therapien denke, oder zumindest an solche, die mir als weniger positiv in Erinnerung sind, dann sind das vor allem diejenigen, bei denen es Patienten schwerfiel, sich auf die Verbindlichkeit des Kontakts einzulassen. Psychotherapien mit Patienten, die sagen: »Ich mag keine festen Termine, da fühle ich mich zu sehr unter Druck gesetzt«, sind beinahe unmöglich. Ebenso Therapien mit Patienten, die häufiger absagen, versprechen, sie würden sich wegen eines neuen Termins wieder melden,
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