Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
Erachtens liegt, dass die beiden sich fetzen. Um solche Situationen zu vermeiden, ist es ihm beispielsweise ausdrücklich untersagt, verschiedene Mitglieder einer Familie gleichzeitig zu behandeln. Das gilt allerdings nur für Therapeuten, die mit einzelnen Erwachsenen arbeiten, nicht für Kinder-, Paar- oder Familientherapeuten.
Wenn Sie keine Empfehlung für einen bestimmten Therapeuten haben, rate ich Ihnen, den Sonntagstrick anzuwenden. Nehmen Sie die Gelben Seiten oder Ihre Liste, warten Sie den nächsten Sonntag ab und rufen in den Praxen an. Dann, wenn keine Gefahr besteht, dass sich jemand meldet – außer dem Anrufbeantworter. Zum einen können Sie so in aller Ruhe feststellen, ob Ihnen die Stimme des Therapeuten sympathisch ist. Dieser Tipp ist ein wenig unfair gegenüber den Kollegen, die wunderbare Therapeuten sind, aber auf dem Anrufbeantworter nicht optimal rüberkommen. Aber für viele Patienten ist das ein wichtiger erster Schritt der Annäherung. Außerdem erfahren Sie auf diese Weise meist auch, wann der Therapeut persönlich erreichbar ist. Oft ist das nur eine Stunde in der Woche oder sogar nur eine halbe. Während sie in Behandlungen sind, gehen Therapeuten normalerweise nicht ans Telefon. Falls Ihrer das tut und Sie es in Ordnung finden – von mir aus, das geht mich nichts an. Mich würde das als Patientin allerdings stören. Es ist schwer, sich auf etwas zu konzentrieren, über das sich eh schon nicht leicht reden lässt, wenn man dazu noch befürchten muss, dass jederzeit das Telefon klingeln kann und jemand dem Therapeuten eine Viertelstunde lang ausführlich erklärt, warum er in der nächsten Woche keine Zeit hat. Davon abgesehen geht das von Ihrer kostbaren Therapiezeit ab.
Weil Patient und Therapeut während der Sitzungen nicht gestört werden wollen, sollten Sie auch einen Termin telefonisch vereinbaren und nicht einfach in die Praxis kommen. Selbst wenn Sie gerade in der Nähe sind. Schreiben Sie sich also auf, wann der Therapeut telefonisch erreichbar ist. Und dann packen Sie Ihren Mut zusammen und rufen Sie tatsächlich an. Ja, das ist der schwerste Schritt, ich weiß.
An dieser Stelle lauert leider möglicherweise auch der heftigste Schock auf Sie. Es sei denn, sie wohnen in einer Groß- oder Universitätsstadt, wo die Therapeutendichte ebenso wie die Arztdichte meist etwas größer ist. Kein Wunder. Man studiert irgendwo Medizin oder Psychologie, lernt dabei den Mann oder die Frau fürs Leben kennen, findet Freunde, eine schöne Wohnung und beginnt mit der Vermehrung. Da fällt es einem schwer, wieder von dort wegzugehen. Darum knäulen sich die Akademiker in Universitätsstädten, auch wenn sie mit der Uni schon lange nichts mehr zu tun haben.
Sollten Sie jedoch außerhalb solcher Ballungszentren leben, wird der Psychotherapeut Ihnen wahrscheinlich sagen, dass er erst in einigen Monaten Zeit für Sie hat. Das ist der Punkt, an dem viele frustriert die Flinte ins Korn werfen.
Was soll das denn? Sie benötigen jetzt Hilfe, jetzt, wo Sie sich schon einmal dazu durchgerungen haben. Nicht in einem viertel oder gar erst in einem halben Jahr!
Diese Enttäuschung ist mehr als verständlich. Leider gibt es jedoch einen größeren Bedarf für Psychotherapie, als an Zulassungen ausgesprochen wird. Und darüber dürfen wir uns nicht einmal beklagen, denn, wie erwähnt, in sehr vielen Ländern gehört Psychotherapie nicht zum Leistungskatalog der Krankenkassen. So es dort überhaupt Krankenkassen gibt. Und selbst bei uns ist die psychotherapeutische Versorgung in der jetzigen Form erst seit gut zehn Jahren gesetzlich geregelt.
Wer nicht warten möchte, muss sich an eine Psychologische Beratungsstelle wenden, wo man mitunter sogar während der Öffnungszeiten spontan vorbeikommen kann. Es gibt sie in jeder größeren Stadt.
Wem die Termine in einer Beratungsstelle nicht ausreichen, weil es ihm einfach zu schlecht geht, wer akut und schwer psychisch erkrankt ist, ist kein Patient für eine ambulante Behandlung. Er ist besser bei einem Psychiater aufgehoben oder vorübergehend in einer Klinik. Das ist nichts Ehrenrühriges, so wenig es jemandem peinlich sein muss, wenn der Arzt ihn ins Krankenhaus schickt, statt ihn selbst zu behandeln. Jedes Jahr verbringt mehr als ein halbes Prozent der Bevölkerung einige Zeit in einer psychiatrischen Klinik. Das erscheint nicht viel, aber wenn man es über mehrere Jahre oder Jahrzehnte hochrechnet, kommt da schon ein ordentlicher Prozentsatz
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