Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
sonst oft das Gefühl haben, andere könnten Sie doof finden. Dann liegt die Ursache vielleicht daran, dass Sie besonders kritisch mit sich selbst sind, und es ist nicht verkehrt, dass Sie hier sitzen.
Auch wenn der Therapeut Sie beispielsweise auf Widersprüchlichkeiten hinweist, sollte das sachlich und respektvoll geschehen. Haben Sie hingegen den Eindruck, er sei verständnislos oder kritisiere Sie sogar, wäre es vielleicht besser, noch einen anderen aufzusuchen. Wenn Ihnen das allerdings bei allen Therapeuten so geht, liegt das Problem möglicherweise doch eher bei Ihnen. Fragen Sie dann eine Freundin, ob Sie meint, dass Sie ein überkritischer Mensch sind. Falls Sie jedoch so überkritisch sind, dass Sie auch schon alle Freunde vergrault haben – dann fällt mir auch nichts mehr ein.
Dass der Therapeut Sie nicht mag, ist unwahrscheinlich. Meist hat ein Therapeut mehr Verständnis für einen Patienten als der für sich selbst. Außerdem muss kein Therapeut mit einem Patienten arbeiten, der ihm unsympathisch ist. Sollte er merken, dass er für einen Hilfesuchenden kein Verständnis aufbringen kann, wird er ihm keinen Therapieplatz anbieten.
Wenn der Therapeut, bei dem Sie zum Vorgespräch waren, Ihnen wirklich keinen Therapieplatz anbieten kann, wird das jedoch wahrscheinlich andere Ursachen haben. Er kann Sie sympathisch finden und dennoch der Meinung sein, dass Sie mit Ihrer speziellen Problematik woanders besser aufgehoben sind.
Vielleicht kommen Sie auch mit einem Problem, mit dem er normalerweise arbeiten würde, mit dem er nur zurzeit nicht arbeiten möchte. Wenn ein Therapeut gerade herausgefunden hat, dass seine Ehefrau eine Affäre hat, wird er zu diesem Zeitpunkt vielleicht nicht einen Patienten behandeln wollen, der eine Liebelei mit einer verheirateten Frau hat. Und der sich in den Sitzungen stundenlang ausmalt, wie schön es wäre, wenn die Geliebte sich endlich von ihrem langweiligen Ehemann trennt.
Ebenso, wie ein Therapeut, dessen Vater gerade eine Krebsdiagnose bekommen hat, wahrscheinlich erst einmal nicht mit Patienten arbeiten kann, die den Krebstod eines Angehörigen betrauern müssen. Therapeuten lernen, sich und den Patienten rechtzeitig vor solchen Therapiebeziehungen zu schützen, die niemandem guttun. Er wird nur solche Patienten annehmen, für die er wirklich offen sein kann.
Halt! , werden Sie jetzt vielleicht sagen. Dem Therapeuten können doch nicht alle Patienten sympathisch sein? Doch. Sympathisch sollten ihm alle seine Patienten sein, sonst sollte er sie nicht annehmen. Privat erlauben wir uns, auch einmal jemanden nicht sympathisch zu finden und kein Verständnis für ihn zu haben. Auch für eine Balletttänzerin ist es gut, wenn sie nach vielen Stunden hartem Training abends die Füße hochlegt.
Wenn wir uns in der Praxis aufhalten, nehmen wir eine andere Haltung ein als im Privatleben. Wir gehen davon aus, dass ein Mensch Gründe hat, so zu sein, wie er ist, und bemühen uns, so bald wie möglich zu begreifen, was ihn so hat werden lassen. Deshalb haben wir auch Verständnis für Menschen, die uns im Privatleben zu anstrengend wären, zu kühl oder zu aufgedreht. Wir begreifen es als Herausforderung, dafür zu sorgen, dass sie ein bisschen weniger anstrengend, kühl oder aufgedreht sind, also lernen, andere Eigenschaften als die an den Tag zu legen, die sie bisher in Schwierigkeiten gebracht haben.
Wenn uns ein Patient gegenübersitzt, ist es Arbeit. Wir sind hoch konzentriert, selbst wenn es nicht immer so aussieht. Auch wenn wir schon ein paar Minuten lang nichts mehr gesagt haben, sind wir innerlich nicht damit beschäftigt, uns eine Notiz zu machen, dass wir abends noch die Stiefel vom Schuster holen müssen und noch Brot fürs Abendessen brauchen.
Wenn wir uns tatsächlich einmal bei solchen Gedanken ertappen, fragen wir uns, warum unsere Aufmerksamkeit gerade wandert. Mitunter geschieht das zum Beispiel in Momenten, wo der Patient uns etwas Langweiliges erzählt, um von dem abzulenken, was er sich an Brisantem nicht zu erzählen traut. Dann ist es wichtiger, zusammen mit dem Patienten herauszufinden, woher seine Angst vor den aufregenderen Themen kommt, statt weiter den Einkaufszettel zu komplettieren. Selbst wenn das bedeutet, abends schon das Messer in der Butter zu haben und festzustellen, dass kein Brot da ist.
Allerdings ist, ich habe das schon einmal erwähnt, die therapeutische Beziehung eine völlig andere als die zu einem Nachbarn. Wenn der uns seine
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