Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
Lebensgeschichte zum hundertsten Mal erzählt hat, neigen wir dazu, ihm künftig aus dem Weg zu gehen. Oft deshalb, weil wir uns vieles verkneifen müssen, was uns zu seinen Geschichten einfällt, zum Beispiel: »Es wird schon einen Grund geben, warum Ihre Tochter Sie nicht mehr besuchen kommt.«
Der Psychotherapeut muss sich nichts verkneifen, im Gegenteil. Was der Patient in ihm auslöst, spricht er aus. Allerdings nicht verletzend, nicht als Selbstzweck, sondern so, dass es dem Patienten dienlich ist. Dass er am Ende der Behandlung mit weniger Symptomen und mit einem positiveren Lebensgefühl nach Hause gehen kann.
Dass der Therapeut Sie unsympathisch findet, sollte also nicht vorkommen. Aber was ist im umgekehrten Fall? Was ist, wenn Sie den Therapeuten unsympathisch finden? Natürlich kann es nicht darum gehen, sich den Therapeuten herauszusuchen, der Ihnen am ähnlichsten ist oder Ihnen am meisten nach dem Mund redet. Aber das Gefühl, dass Sie irgendwo mit ihm auf einer Wellenlänge sind, dass Sie ihm vertrauen können und sich gut aufgehoben fühlen, das sollte schon da sein. Unbedingt sogar.
Falls Sie beide sich also entschließen, es miteinander zu versuchen, wird der Therapeut Ihnen am Ende der ersten Sitzung erzählen, wie eine Therapie abläuft. Er wird Ihnen sagen, dass Sie sich in Zukunft einmal in der Woche sehen werden, außer, es handelt sich um eine Psychoanalyse, dann haben Sie möglicherweise mehrere Termine pro Woche. Die Sitzungen dauern in der Regel fünfzig Minuten.
Wahrscheinlich wird der Therapeut Ihnen sagen, dass Sie Termine, die Sie nicht rechtzeitig absagen, selbst zahlen müssen. Das ist üblich, da wir nicht einfach ins Wartezimmer gehen und den nächsten Patienten aufrufen können. Wenn ein Patient nicht kommt, bedeutet das für uns einen Verdienstausfall. Das Risiko in einem solchen Fall trägt der Patient, selbst wenn er die Absage nicht zu verantworten hat, weil ihm etwas dazwischengekommen oder er krank geworden ist.
Das klingt recht hart. Bedenken Sie aber, wie rar Therapieplätze sind. Ich vergleiche eine kurzfristig abgesagte Stunde mit dem Auftrag an einen Juwelier, den Namen der Liebsten in ein Schmuckstück zu gravieren. Sollte sich die Angebetete inzwischen vom Auftraggeber getrennt haben, wird der Juwelier trotzdem wünschen, dass das Schmuckstück bezahlt wird. Mit der Stunde ist es ähnlich. Wenn Sie erst kurz vorher absagen oder gar nicht, kann der Therapeut die Stunde (in die Ihr Name eingraviert war, sozusagen) nicht mehr anderweitig vergeben.
Die Sache hat, wie vieles von dem, was der Therapeut einigermaßen streng handhabt, den Sinn, die Zusammenarbeit reibungsloser zu gestalten. Es ist einfacher, eine kurzfristig abgesagte Stunde bezahlen zu müssen, als ein schlechtes Gewissen zu haben und sich vielleicht zu fragen, ob der Therapeut einem den angegebenen Grund abnimmt oder ob er glaubt, man habe schwänzen wollen.
Sie haben einen Psychotherapeuten gefunden, Sie haben ihn kennengelernt, Sie können sich vorstellen, miteinander zu arbeiten. Nun kann es also wirklich losgehen. Die erste Informationssitzung zahlt die Krankenkasse. Insgesamt wird der Therapeut Ihnen, falls Sie beide miteinander arbeiten wollen, eventuell bis zu fünf, bei einer Psychoanalyse bis zu acht sogenannte Probesitzungen anbieten. Auch die zahlt die Kasse. Danach ist allerdings Feierabend, und Sie müssen sich entscheiden. Sich auf Kosten der Kasse sämtliche Therapeuten der Stadt oder des Landkreises anzusehen funktioniert also nicht. Die Kasse zahlt kein Therapeutencasting. Erst jetzt muss der Therapeut einen Antrag bei der Krankenkasse stellen. Voraussetzung ist, dass der Psychotherapeut die Kassenzulassung hat und dass Sie behandlungsbedürftig sind.
Dieser Antrag wird in der Regel bewilligt werden, es sei denn, Sie haben innerhalb der letzten zwei Jahre bereits eine Psychotherapie gemacht. Und selbst dann wird er in Ausnahmefällen genehmigt werden, nämlich dann, wenn es Gründe gibt, die eine erneute Behandlung erforderlich machen.
Der Therapeut braucht nun außerdem einen kurzen Bericht von einem Ihrer behandelnden Ärzte, am besten vom Hausarzt, um sich ein Bild von Ihrer körperlichen Verfassung machen zu können. Er kann dann einschätzen, welche Ihrer Symptome vielleicht gar nicht mit psychischen Beschwerden zusammenhängen, sondern mit körperlichen. Dieses Ding nennt sich Konsiliarbericht. Der Psychotherapeut hat das Formular vorrätig und wird es Ihnen mitgeben.
Vor
Weitere Kostenlose Bücher