Da gewöhnze dich dran
zu mir hinauf. Es kommen immer noch Leute von der Autobahn.
Ich lege meinen Kopf zurück. Das erste Mal, seit ich hier wohne, fühle ich mich mehr als nur ein bisschen heimisch.
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Beautywart
Die Halle ist warm, staubig und riecht nach Teenagerschweiß, der in beklemmenden Realschulsportstunden vergossen wird. In den Ecken neben den Sprossenwänden und Weichbodenmatten liegen faustgroße Wollmäuse. Einige Linien des Feldes sind mit Panzerband nachgeklebt, die Pfosten der Handballtore und der Boden vor der Torlinie sind mit Harz beschmutzt.
Vor einer holzvertäfelten Wand, unter dem Fenster zum Lehrerraum, sitzen fünf Mädels. Sie streifen sich Knieschoner über, ziehen Schuhe an und schwatzen schnatternd.
«Das ist Nessy», sagt Katrin, auf mich deutend. «Sie will sich das Ganze hier mal ansehen.»
«Hi», sagen die Mädels im Chor. Katrin stellt sie mir vor: «Das ist Schnecke», sie deutet auf eine pummelige Rothaarige mit Piercing im Nasenflügel. «Schnecke spielt Kreis. Das daneben ist Alina», eine Torfrau in langen Hosen, dünn, mit kurzen braunen Haaren und Tapeverband um beide Handgelenke. «Die beiden sind zusammen. Daneben, das ist Kerstin.» Kerstin hat ein freundliches, geschminktes Gesicht und blonde, zu einem Zopf gebundene Haare. «Kerstin spielt Rückraum. Dann kommen Rosi und Lisa.» Rosi ist unglaublich klein, fast elfenhaft, hat rot gefärbte Haare und ein Piercing in der Nase. Lisa ist groß, kräftig und fummelt gerade an einem Ghettoblaster rum. «Lisa ist unser Pusterwart», sagt Katrin.
«Puster?», frage ich verständnislos.
«Ghettoblaster. Wir haben hier alle irgendwelche Aufgaben. Aber das erzähle ich dir nach dem Training. Ist jetzt nicht wichtig.»
Die Tür neben dem Lehrerraum öffnet sich, und ein kleiner, untersetzter Mann, Typ Kirmesboxer mit Kartoffelnase, betritt die Halle. Er trägt einen Ballsack, der beinahe ebenso groß ist wie er selbst. Ihm folgt ein kleines, kompaktes Mädchen mit eckigem Gesicht und Pferdeschwanz. «Das ist Iosif», sagt Katrin.
Iosif kommt auf mich zu und streckt mir seine Hand entgegen. «Guten Abend», sagt er förmlich. Seine Stimme klingt kehlig und belegt. Ich höre sofort, dass er eine slawische Muttersprache hat. «Ich bin Iosif, der Trainer.» Er rollt das R.
«Hallo», sage ich und nehme seine Hand. «Ich bin Nessy. Katrin hat mich eingeladen.»
«Sehr gut, sehr gut», sagt Iosif. Er stellt den Ballsack neben das Tor zum Geräteraum. «Wir brauchen immer Leute. Bist du neu hier in der Stadt?»
Ich nicke.
«Welche Position?»
«Kreis.»
«Du bist groß», sagt er. «Was ist mit Rückraum?»
«Früher mal.»
«Na gut. Schauen wir. Machst du erst mal mit und sagst du mir dann, wie es dir gefällt.»
Ich setze mich neben die anderen Mädels auf den Boden. Katrin erklärt mir, dass die kleine Kompakte Iosifs Tochter Kinga ist. «Sie hat gerade Abi gemacht und studiert ab Oktober Mathe und Sport.» Nach und nach kommen weitere Spielerinnen. Bald sind wir 14 Leute. Zwei seien im Urlaub, zwei weitere aus anderen Gründen nicht da.
In der anderen Hallenhälfte sammeln sich Männer. «Das ist unsere 1 . Herren», erklärt Katrin. «Sie spielen Bezirksliga. Wir teilen uns die Halle mit ihnen.»
Pünktlich um acht klatscht Iosif in seine kleinen, kräftigen Hände. «Machen wir erst mal Aufwärmen», sagt er mit erhobener Stimme. «Acht Minuten laufen. Rosi macht Tempo.»
Wir trotten zur Grundlinie und laufen in einer Reihe los, Rosi in der Mitte. «Vier Bahnen normal!», ruft sie in die Halle, und wir laufen. Die anderen haben schon einen Monat Vorbereitung hinter sich, in dem sie dreimal pro Woche trainiert haben. Ich merke, wie mein Puls steigt. Bloß nicht zurückfallen jetzt, nicht schon beim Aufwärmen.
Es folgen sechs Bahnen mit Armkreisen, erst links, dann rechts, dann beide zusammen in unterschiedlichen Richtungen. Schnecke, die neben mir läuft, hat koordinative Schwierigkeiten, schleudert ihre Arme windmühlenartig um den Körper und flucht dabei unverständlich.
Wir laufen weiter. «Anfersen!», ruft Rosi. Wir werfen die Hacken an den Hintern. «Skippings!» Wir ziehen die Knie hoch zur Brust. «Ball aufheben!» Wir recken uns alle drei Schritte zum Boden. Dann enden wir mit vier Bahnen Steigerungslauf. Keuchend stehen wir danach im Torraum, die Hände in die Seiten gestemmt. Ich bin total fertig. Iosif baut derweil sechs Hütchen auf, den Scheinkreis entlang, der in neun Metern Entfernung vom Tor
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