Da gewöhnze dich dran
Russlanddeutscher, so ein richtiger Schleifer. In seiner Jugend war er in einem sowjetischen Sportinternat. Aber keine Angst, er weiß genau, wie weit er dich rannehmen kann. Ich habe bislang nur einmal gekotzt, das war in der letzten Vorbereitung, als wir Treppenläufe gemacht haben.» Sie macht eine Pause, sieht mich an und bemerkt, dass ich mich nicht gerade ermutigt fühle. «Ich war allerdings auch ein bisschen krank. Hatte eine Erkältung in den Knochen.»
«Na dann geht’s ja», meine ich ironisch, aber Katrin bemerkt die Ironie nicht.
«Geht wirklich», sagt sie. «Außerdem hat er uns schon eine Menge beigebracht. Er versteht was vom Handball. Soll ich dich am Dienstag abholen?»
Ich weiß nicht recht.
«Du kannst auch erst mal nur zusehen.»
«Das ist ja auch doof», sage ich. «Wenn, dann trainiere ich mit.»
«Ich kann mir vorstellen, dass wir bald wieder was mit dem Ball machen und die schlimmste Konditionsarbeit dann vorbei ist. Anfang August haben wir ein Turnier in Bochum. Bis dahin wird’s wahrscheinlich noch hart, aber dann wird alles gut.»
Wir haben inzwischen den Lkw passiert. Der Stau löst sich langsam auf. Melanie hat ihr Rad vor uns hergeschoben und steigt nun auf. «Woll’n wa widda?», fragt sie, während sie sich zu uns umblickt.
«Einen Moment», sage ich und tippe in mein Handy: «Bin mir nicht sicher, ob ich noch zwei Wochen warten kann. Werde nächtelang schmachten.»
Die Antwort kommt prompt: ein Smiley.
Ich lasse das Handy in meine Hosentasche gleiten. Die Fahrt geht nun recht zügig. Es geht leicht bergauf, lässt sich aber gut treten. Auch hier säumen Familien und Musikgruppen die andere Seite. Luftballons steigen auf. Vornübergebeugt strampelt Katrin gegen die Steigung an. Wir fahren über das Kreuz Dortmund-West, das die A 40 mit der A 45 verbindet.
«Ich find’s total cool!», ruft Melanie von vorne, und der Fahrtwind trägt die Worte zu uns. Es ist tatsächlich prima – und surreal, einfach so über die Autobahn zu fahren. Auf dem Rad kommt sie mir viel breiter vor als im Auto. Die Radler verteilen sich nun weit über die gesamte Spur, es müssen Tausende sein, die heute unterwegs sind. Auf der Fußgängerspur haben sich die Massen auch gelichtet, nur die Tische sind immer noch gut gefüllt. Familien spielen Uno und Scrabble, Kinder schlafen unter Sonnenschirmen, Herrenmannschaften in Trikots haben Bierfässchen aufgebaut und zapfen sich einen Becher nach dem anderen. Vor uns fahren Familien mit Kindern, die auf kleinen Rädern, dekoriert mit Schutzhelmen in Marienkäfer-Optik, quer über die Fahrspur taumeln.
Kurz vor Bochum dann wieder Stau.
«Sach ma», meint Melanie, zu mir gewandt. «Findest du’s eigentlich schön hier? Ich meine als jemand, der vom Land kommt.»
Ich ziehe die Augenbrauen hoch und zögere kurz. «Schön ist vielleicht das falsche Wort.»
«Hübsch?», fragt Melanie.
«Toll?», versucht es Katrin.
«Okay ist ein gutes Wort», sage ich.
«Okay is ’n bissken wenig», meint Melanie beleidigt.
«Es ist halt …», ich suche wieder nach Worten, «ein bisschen voll.»
«Ach», meint Melanie und winkt ab. «Da gewöhnze dich dran. Wat ich hier am meisten nett finde, sind übrigens die Leute. So wat hasse nirgendwo anders, oder? Solche duften Typen?»
«Das stimmt», wiegele ich ab. «Die Leute hier sind wirklich in Ordnung.» Ich denke an Schmidtchen und Gabi. «Und ziemlich originell.»
«Du meinst, original.»
«Das auch.»
Weil es auch hier wieder nicht vorangeht, beschließen wir, umzukehren und nach Hause zu fahren. In Barop verlassen wir die Autobahn und fahren an der Uni vorbei und durch den Dortmunder Süden nach Hause. Vor meiner Haustür sagt Katrin: «Ich bin dann am Mittwoch um 19 Uhr bei dir.»
«Wegen Training?», frage ich.
«Genau. Mit dem Laufen morgen, das kannst du dir ja noch überlegen. Schreib mir einfach über Facebook ’ne Nachricht, wenn du doch noch mitwillst.»
«Nee», sage ich. «Lass mal. Hallentraining ist erst mal besser. Beim Laufen hinterlasse ich direkt einen schlechten Eindruck, und Iosif nimmt mich besonders doll ran.»
«Quatsch», meint Katrin und lacht. Dann winken die beiden und fahren davon. Ich trage mein Rad in den Keller, schleppe mich in den vierten Stock und dusche erst mal zehn Minuten, bevor ich mich auf dem Balkon in den Liegestuhl fallen lasse. Ein leichter Wind schmeichelt über meinen Körper. Die Abendsonne steht noch hoch am Himmel. Von der Straße tönt Fahrradklingeln
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