Da gewöhnze dich dran
noch, jetzt lauter.
Kaminskis Zorn auf den Schiedsrichter schlägt in Wut auf die eigenen Mannen um. «Wieso geht da keiner ran? Da muss einer rangehen! Wat is datt denn für ’n Elend da unten!» Frustriert wirft er den Kopf in den Nacken und kippt sich seine Kanne Bier in den Hals.
«Kerl, Kerl, Kerl …!», stöhnt er. «Dat is ja schlimmer als Bottrop da unten. So ein Mistikack. Ich geh nomma watt zu trinken holen. Will noch einer?» Er hält seinen leeren Becher in die Höhe und guckt fragend in die Runde.
Ich verneine, und auch Eichhörnchen winkt ab. Melanie hingegen stürzt ihren Rest Pils hinunter und hält Kaminski ihren leeren Becher hin.
«Wenn das so weitergeht», sage ich, «ist Montag bestimmt schlechte Stimmung im Büro.»
Doch Eichhörnchen schüttelt den Kopf. «Der nimmt das leicht. Er regt sich jetzt zwar auf, aber am Montag ist wieder alles gut. Kaminski ist keiner, der sich lange ärgert.»
Ich merke, wie Thorsten mich von der Seite ansieht, und warte darauf, dass er noch etwas sagt. Aber er sagt nichts.
Die Dortmunder probieren es nun mit Fernschüssen, aber so richtig bringt das nichts. Der Schiri pfeift zur Halbzeit.
Kaminski und Melanie versteigen sich in Fachsimpeleien.
«Du has den Kagawa, dat is ’n Guten», sagt Kaminski, «abba der hat dat System noch nich verinnerlicht. Und dann der Götze. Dat is ’n Jungspund. Ich mein, der hat enorm Potenzial, abba nur diese jungen Leute – so ’ne Mannschaft muss ausgewogen sein.»
«Die Scheiße is», entgegnet Mel, «datte im Angriff den Lewandowski has, den Barrios und den Zidan. Drei Leute! Das bedeutet: nur Theater.»
«Dat seh ich anders», meint Kaminski. «Getz hasse endlich ma Konkurrenz. Dann gehnse wenigstens alle ma zum Training.»
«Werden sehen», brummt Melanie.
Eichhörnchen und ich blicken uns an und runzeln hilflos die Stirn. Wir haben nichts beizutragen, werden nichts gefragt und verständigen uns stumm darauf, den Mund zu halten.
«Dat Problem kommt», sagt Kaminski, «wenn einer von denen große Fresse hat. Wenn de eingewechselt wirs und Leistung brings, dann kannze wat sagen. Abba nich, wenn de nur rumeiers.»
«Und dat Ziel diese Saison?», kontert Melanie. «Wenn de mich frachst, müssen wa nich Meister werden. Sondern du musst sehen, datte inne Champions League reinkomms. Dat bringt die Patte. Nich die Bundesliga.»
Kaminski wiegt seinen großen Kopf. «Da hasse zwar recht, aber auch widda nich. Wenn de über de Quali reinrutschst, is scheiße. Als Meister hasse die breitere Brust, imma.»
Auch nach dem Wiederanpfiff kommt der BVB nicht zum Zug. Barrios und Kagawa ballern aufs Tor, Sahin stellt sich zum Freistoß hin, und Kaminski prophezeit siegessicher: «Getz kracht’s!» Aber es kracht nicht. Die Partie plätschert vor sich hin. Eichhörnchen und ich stehen da und schauen angestrengt aufs Spielfeld, auf dem sich allerdings nicht viel tut. Kagawa und Vidal können nicht voneinander lassen, ansonsten gleicht die Partie nun dem Volkshochschulkurs «Gymnastik mit Ball».
Sechs Männer quetschen sich an uns vorbei nach unten.
«Watt is dat denn?», ruft Kaminski. «Feuer unterm Dach, odda watt?» Kopfschüttelnd murmelt er: «Wat is dat für ’ne Moral. Bis zum Schlusspfiff, wie die Jungs da unten. Dat is heilige Pflicht.»
«Ich würde jetzt auch lieber gehen», murmelt Thorsten, blickt mich von der Seite an und hebt eine Augenbraue. «Hast du nach dem Spiel noch was vor?»
«Ich bin noch verabredet», sage ich und erröte, als hätte ich nur aus Anstand ein unzüchtiges Angebot abgelehnt. «Schade.» Er kneift die Lippen zusammen, presst sie zu einem dünnen weißen Strich und setzt seinen Becher an, doch es ist nichts mehr drin. Er wiegt ihn unsicher in der Hand.
Die Ultras singen: «Auf geht’s, Dortmund, kämpfen und siegen, weil wir dich so lieben, gewinnst du dieses Spiel für uns!», doch hier siegt heute Leverkusen, das können wir jetzt, zehn Minuten vor Schluss, mit Sicherheit sagen.
«Aber eine Bratwurst essen wir noch zusammen, oder?», fragt Eichhörnchen.
Ich nicke, denn ich muss ohnehin auf Björn warten, und wie ich so neben ihm stehe, empfinde ich Thorsten als gar keine schlechte Gesellschaft: Er ist achtsam und zaghaft, launig ironisch und angenehm sachlich. Wenn er mich anblickt, schaut er nicht nur, sondern er sieht mich – er lächelt und hebt seine Brauen, mal fordernd, mal wissend, er grinst und rollt mit den Augen, wiegt den Kopf und verzieht die Mundwinkel, sodass
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