Da gewöhnze dich dran

Melanie.
    «Willze damit sagen, datt ich ’ne alte Saufziege bin, odda watt? Ich hab nur zwei Becher gehabt. Nee, dat war irgend so ’n Virus. Hab den halben Morgen mit’m flotten Otto in ’ner Gekachelten gesessen.»
    «Meine Omma hatte auch Magen-Darm», sage ich. «Vielleicht geht das grad um.»
    «Und wat habt ihr zwei Süßen noch mit dem angebrochenen Abend gemacht?», fragt Melanie.
    «Bratwurst gegessen», antworten wir wie aus einem Mund.
    «Soso.» Sie wirft ihre Jacke über die Garderobe, fährt ihren Rechner hoch und plumpst in ihren Schreibtischstuhl. «Anner Roten Erde?»
    Ich nicke. Aus Eichhörnchens Hosentasche ertönt die Star-Wars-Melodie. Er zieht sein Handy heraus.
    «Ja? Mareike?» Winkend verschwindet er in sein Büro.
    Melanie guckt mich an ihrem Bildschirm vorbei an. «Sach ma, hat der irgendwas?»
    Ich zucke mit den Schultern. «Ich glaube, er ist beleidigt, weil ich einen Freund habe.»
    «Du hast einen Freund?»
    «Habe ich dir das nicht erzählt?» Nein, habe ich nicht, sie muss ja nicht alles wissen.
    «Seit wann denn?»
    «Ein paar Wochen.»
    «Und da erzählst du mir nix von?»
    «Habe ich vergessen.»
    «Und wie heißt er?»
    «Björn.»
    «Aus Dortmund?»
    «Essen.»
    «Wie alt?»
    « 38 .»
    «Und wo hast du ihn kennengelernt?»
    «Im Internet.»
    «Nun lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen», schnaubt Melanie, packt eine Brötchentüte aus und beißt in «Mutti’s Kniffte», nur original mit Deppen-Apostroph, Topseller der Bäckerei vor unserer Bürotür: Graubrot, Gutebutter, Putenaufschnitt und Ei, handlich zusammengeklappt. «Gutebutter» ist ein Wort, das hier zusammengeschrieben wird, ein Produkt für sich, dargereicht auf Brot, als Bratfett und im Kuchen. Margarine ist etwas für arme Leute, zugezogene Intellektuelle oder solche, bei denen das Cholesterin außer Rand und Band ist – von zu viel Gutebutter.
    Ich hole tief Luft. «Ich war halt auf einem dieser Portale, Online-Dating, du weißt schon. Er hat mich angeschrieben, wir haben ein paarmal gemailt und uns ein paarmal getroffen.»
    «Und? Wie ist er so? Bist du verliebt?»
    Ich werde ein bisschen rot.
    «Also ja», sagt Melanie, beißt von ihrer Stulle ab und kaut vernehmlich. «Wer hätte dat gedacht», murmelt sie mit halb vollem Mund. «Kaum in Dortmund, hat unsa Nessy schon dat halbe Ruhrgebiet anne Angel.» Noch ein Biss. «Und? Hatter seinen Benz schon inne Garage gefahren?»
    «Hat er was?»
    «Habt ihr’s schon gemacht?»
    «Melanie, also ehrlich.»
    «Watt denn? Wird man ja wohl fragen dürfen. Ich erzähl dir schließlich auch, watt mit Marcos läuft.»
    «Wie läuft’s denn mit Marcos?»
    «Schlecht. Ich konnt ja nich am Wochenende.»
    «Das wird er wohl dieses eine Mal verschmerzen.»
    «Er schon, ich aber nicht.»
    Eichhörnchen steht wieder in der Tür, Stift und Block unterm Arm. «Haben wir jetzt nicht einen Termin? Im Konferenzraum? Mit den Tekkies von dieser Berater-Bude aus Duisburg?»
    «Oh, verdammt», sage ich. «Geh schon mal vor. Ich komme gleich. Ich suche nur noch die Unterlagen zusammen.»
    Er trottet davon.
    «Dann viel Spaß», murmelt Melanie durch einen Biss von «Mutti’s Kniffte».
    Ich drucke hektisch drei Dokumente aus, schnappe mir das Papier und laufe Eichhörnchen hinterher.

    In unserem ersten Spiel tun wir es dem BVB gleich und vergeigen den Saisonauftakt. Iosif springt mit rotem Kopf und aufgeblasenen Backen am Spielfeldrand auf und ab, haut mit der Faust auf die Auswechselbank und nimmt schon nach zwölf Minuten die erste Auszeit. Es steht 2 : 8 .
    «Was macht ihr? Sagt’s mir! Ich kann das nicht nachverstehen. Was macht ihr auf dem Feld? Was ist das? Ist das Federball? Ist das Gymnastik? Wo ist euer Mumm? Wo ist euer Fuck? Wollt ihr hier untergehen? Wenn ihr so weiterspielt, steht es in der Halbzeit 5 zu 25 ! Mädchen, das ist Handball! Das ist ein Vollkontaktsport! Ich will gelbe Karten sehen! Ich will, dass ihr den Weibern in der Abwehr wiedergebt, was sie vorne mit euch machen! Schnecke – wenn die Nummer sechs dich weghaut, dann lauf zurück und mach sie in der Abwehr fertig! Das ist hier nicht Neues Testament, halt die andere Wange hin und so – das ist hier Auge um Auge, Zahn um Zahn! Sobald sie den Ball kriegt, festmachen! Die kommt keinen Schritt in den Neun-Meter-Raum! Lasst Alina da hinten nicht allein! Das ist Handball! Fangt an, Handball zu spielen! Handball macht Spaß! Spielt endlich! Habt Spaß!»
    Die Sirene heult. In zehn Sekunden ist