Da gewöhnze dich dran
Feudel abstaube und mitm Fensterleder abreibe. Nach fünfmal hab ich ihm ersma gezeigt, wat so ’n Lappen allet kann, wenn da Essichreiniger drauf is. Danach hatter Schluss gemacht. Seitdem ham alle Essener für mich ’n Schuss.»
«Melanie, du bist … also, irgendwie …»
«Watt?»
«Das denkst du dir doch aus.»
«Auf dat, wat die Männers mit mir schon allet angestellt haben, würd meine Phantasie gar nich von alleine kommen. Glaub mir, als Frau Mitte vierzich, wennde seit zehn Jahren Single bis, hasse einiges erlebt. Da kannst du mit deinem Schützenkönich nur von träumen.»
«Vielleicht war der Schützenkönig doch nicht so schlecht.»
«Wehmut?»
«Nur im Vergleich.»
Wir erreichen die Haltestelle Westfalenstadion. Eine schwarz-gelbe Masse quillt aus der Bahn. Die Ersten stellen sich direkt an den Zaun und lassen mit einer Nonchalance, die nur betrunkenen Fußballfans zu eigen ist, einen Liter gefiltertes Pils gegen die Metallstäbe laufen. Schäumend fließt es über den Bahnsteig, Nachfolgende stapfen hinein und helfen den Pinklern quietschenden Schrittes, ihr Revier zu markieren.
Wir laufen prolligsten Kuttenträgern hinterher, die ihre Kappen mit Ansteckern verziert und Schals um die Handgelenke geknotet haben. Am Eingang Südost ist die Stimmung freudig, die Flaschensammler sind gut im Geschäft. Mit Einkaufswagen und Handkarren arbeiten sie sich durch ihre Planquadrate.
Von vorne ruft jemand: «Hat hier grad einer ’ne Dauerkarte gefunden?»
«Wie heißt du denn?», schallt es von hinten.
«Block elf?»
«Wie du heißt, du Penner!»
«Block elf!»
«Vollpfosten!»
Hinter dem Check-in treffen wir Sedat, Kaminski und Eichhörnchen. Jost ist entschuldigt, er ist mit seinen Motorradkumpels auf Eifelfahrt. Wir haben Block 84 gebucht, oben unterm Dach.
«Dat is ’n bissken außer Schusslinie, abba immer noch mitten im Geschehen», hat Kaminski erklärt. Er gibt jedem von uns einen Becher Bier aus. «Hopfentee gegen nervösen Magen», sagt er und schiebt in meine Richtung hinterher: «Den Becher kannze behalten. Kannze auf Abbeit draus trinken, dat beschwingt die Gedanken.» Es ist ein Plastikgefäß mit einem Japaner drauf.
«Danke», sage ich artig, und Kaminski nickt wohlwollend.
Wir gehen hoch zur Tribüne, vorbei an Wandgraffiti, Aufklebern der «Supporters Sölde» und einem Gedenkbild für «Lenz, 1910 – 1988 ».
«Dat is August Lenz», sagt Kaminski, als wir vorbeigehen. «Ich sach dat, weil: Heimatkunde. Damitte watt vonne Stadt erfährs. War der erste Dortmunder Nationalspieler. Hatte später ’ne Kneipe am Borsigplatz. War ’n toller Typ. Musse kennen als Dortmunder.»
«Und Schalke?», frage ich.
«Wie, Schalke?»
«Schalke muss ich doch auch kennen, wenn ich hier im Ruhrgebiet wohne.»
«Ich sach ma so: Unsere Freunde aus Herne sind zwar ’ne Institution hier im Pott, allerdings besonders für Psychologen, für diese Traumaspezialisten, kennze? Solche, die Verwundete betreuen. Ich mein, et muss bestimmt schlimm sein, nie irgendwat zu gewinnen.»
Als wir die letzten Stufen zur Tribüne hinaufgehen und Kaminski sich etwas hat zurückfallen lassen, um mit Sedat zu reden, sagt Eichhörnchen: «Ich finde Schalke gut, aber sag’s ihm nicht.»
«Ich dachte, du bist kein Fußballfan», entgegne ich.
«Bin ich auch nicht. Aber ich habe ein Herz für Minderheiten. Außerdem finde ich die schon allein aus Trotz gut. Steckt so in mir drin. Eigentlich bin ich ein Revoluzzer.»
Er trägt heute ein schwarzes T-Shirt, auf seiner Brust steht «May the source be with you».
Ich sage: «Dann müsstest du ein Che-Guevara-T-Shirt und keines mit so einem Nerd-Spruch tragen.»
«Ich frage mich, was Che Guevara wohl mit den Leuten tun würde, die sein Shirt tragen. Würde er ihnen auf die Schulter klopfen, was meinst du? Oder würde er ihnen mit einer Machete den Kopf abhacken?»
«Was würde ein Jedi machen, wenn er dich mit deinem T-Shirt sähe?»
«Er würde mich mit seinem Lichtschwert töten. Aber sag doch ehrlich: Es ist viel stilvoller, durch eine Laser-Klinge zu sterben als durch eine Dschungelwaffe.»
In meiner Hosentasche spüre ich eine SMS ankommen. «bist du schon auf der süd? ich winke wie ein bekloppter. hab irre sehnsucht.»
«Noch nicht. Müssen aber gleich da sein.»
«ich vermisse dich höllisch. gleich knutschen?»
«Aber hallo.»
Wir erreichen die Tribüne, und zum ersten Mal habe ich einen Blick auf den Rasen. Das Stadion liegt vor mir wie ein
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