Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Giese
Vom Netzwerk:
Dingen hat sie dann Hausarrest gekriegt», erzählt die Sozialmaja weiter, «und als ich gestern im Besprechungsraum saß und aus dem Fenster guckte, baumelte dort Angelique.»
    «Sie hat sich aufgehängt?!», frage ich entsetzt.
    «Abgeseilt. Mit dem Bettlaken. Wie im Film halt. Sie hat aber vergessen, dass sie Höhenangst hat und dass das Bettlaken nur eine Etage weit reicht.»
    Melanie kichert. Maja fährt fort: «Dann haben wir die Feuerwehr gerufen und derweil ein Sprungtuch gespannt, in das sie dann reingeplumpst ist. Jetzt hat sie den Steiß geprellt.»
    «Das denkst du dir doch aus», sagt Katrin.
    «Schön wär’s», meint Maja.»
    «Wie du dat immer aushältst mit den Gören», sagt Melanie. «Ich würd bekloppt werden.»
    «Wie läuft’s eigentlich mit Helmut?», frage ich Melanie.
    «Hat sich seit dem Klettern nich mehr gemeldet.»
    «Ich dachte, ihr hättet euch so gut unterhalten.»
    «Ham wa auch. Hat sich trotzdem nich mehr gemeldet. Die Raupe läuft auf Hochbetrieb.»
    «Raupe?»
    «Na, mein Zauberstab. Dat is so ’ne Raupe mit Gesicht vornedrauf.» Sie streckt ihren Zeigefinger in die Luft und windet ihn.
    Der Doc räuspert sich. «Noch jemand Wein?», fragt er.
    Mel hält ihr Glas hin. «Erzähl doch auch ma watt, Doc. Watt erlebze so inne Klinik?»
    Er erzählt, dass ein Patient ihm ein Buch zu Weihnachten geschenkt habe – von Günter Grass:
Örtlich betäubt
.
    Nach dem Raclette bringt Maja eine Kerze und eine Schüssel Wasser ins Esszimmer, und wir gießen Blei. Ich gieße wie immer einen Phallus, lang und leicht tropfenförmig, doch es steht nicht auf der Packung, was das bedeutet.
    «Sieben Jahre schlechter Sex», sagt Melanie, «is doch klar», und gießt einen Anker («Eine Reise steht bevor»). Katrin gießt eine Brille («Weisheit und hohes Alter»), Maja eine Gitarre («Geheime Sehnsüchte») und der Doc einen unförmigen Klumpen.
    Melanie nimmt sich den Beipackzettel der Bleigusspackung und sagt: «Ganz klar: ein Leuchtturm. ‹Sie fahren in den Hafen der Ehe ein.›»
    Maja, die neben mir sitzt, tritt sie unter dem Tisch.
    «Watt denn?», fragt Melanie zischend, mit hochgezogenen Augenbrauen.
    «Ist schon Zeit für Sekt?» Der Doc springt auf und kramt Sektgläser aus einer Vitrine. Es geht tatsächlich gen Mitternacht. Er schenkt Crémant aus, und wir beobachten den Tischwecker.
    Dann wird es zwölf. Großes Hallo, frohes neues Jahr, anstoßen auf 2011 – und auf die ersten sechs Monate Ruhrgebiet. Vor genau einem Jahr stand ich in einer Schützenhalle, an der Wand Holzvertäfelung und Hirschgeweihe, hinter der Bar Daniel. Es gab Pils und Doppelkorn, Daniel führte Strichliste, Prost! Draußen starteten Schützenkameraden das Feuerwerk, Kinder zündelten mit Zissemännern. Daniel legte eine Hand auf meinen Bauch und sagte: «Was meinst du? Nächstes Jahr?» Es ist weiter weg denn je.
    «Getz startet die Portugiesen-Battle», sagt Melanie und reißt mich aus meinen Gedanken. «Der Grund, warum wir überhaupt hier sind und nich woanders.»
    Wir ziehen unsere Schuhe an und gehen hinunter auf die Straße. Mit Fragezeichen auf der Stirn stehe ich vor dem Haus, doch dann beginnt sie schon, die traditionelle Feuerwerksschlacht der Familien da Silva und de Sousa. Beide wohnen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, weitläufig verwandt und mittelbar verschwägert. Da Silva lebt in Nummer 7 , de Sousa bewohnt hangaufwärts die Nummer 11 . Heute Nacht bestehen sie aus einer unübersichtlichen Zahl von Kindern, hinzu kommen Eltern, Großeltern, Brüder, Schwestern, Vettern und Basen in jeglichem Alter.
    Familie da Silva ist bereits vor der Tür, uns direkt gegenüber. Sie wird – wie jedes Jahr, erklärt Maja – angeführt von einem pummeligen Mittdreißiger mit gegeltem Haupthaar und gestreiftem Hemd. Er ist Besitzer eines ertragreichen Zehn-Quadratmeter-Büdchens 400 Meter stadteinwärts, zu dem er allmorgendlich mit einer tiefergelegten Ludenflunder pendelt. Heute steht er, die Kippe im Pinzettengriff vor die wulstigen Lippen haltend, auf dem Bürgersteig und gibt den Anzünder für die Böllerbatterien.
    Familie de Sousa haben wir nicht so gut im Blick. Mit geschätzt zwei Fußballmannschaften hat sie sich vor dem Haus versammelt, so viel können wir von Nummer 4 aus sehen. Schmächtige Jungspunde positionieren sich dort in der Straßenmitte und geben mit Chinakrachern erste Statements ab.
    Dann geht es los. De Sousa legt vor, da Silva zieht nach. Oben wie unten gehen Goldregen und

Weitere Kostenlose Bücher