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Da hilft nur noch beten

Titel: Da hilft nur noch beten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Ich hab’s doch ganz deutlich gesehen. Kein Mädchen!»
    «Du lügst, du lügst, du lügst!»
    Sie schlug so lange auf ihn ein, bis es ihm gelang, seine Arme zwischen ihre zu bringen, sie festzuhalten und zur Seite zu biegen, gleichzeitig mit dem Hacken den Stuhl umzustoßen und nach hinten zu springen.
    «Hör doch Radio, Mensch, da hörst du, daß es ‘n Junge war!»
    Jessica lief auf Wuthenow zu und ließ sich von ihm auffangen, brach in Tränen aus. «Es war Yemayá, sag es mir!»
    «Es war sie nicht, mein Gott!» Mannhardt riß die Tür zur Treppe auf. «Ihr spinnt ja alle hier; ich halt das nicht mehr aus! Ich bin gerade aus der Klinik raus, meinste, ich will da wieder hin zurück. Geh du doch rein, Mensch!»
    Draußen war er, und sofort hatte er ein schlechtes Gefühl; er hätte sie niemals so anfahren dürfen. Sie war ja wirklich ganz arm dran, die Tochter verschwunden, kein Lebenszeichen von Yemayá; klar, daß man da durchdrehte. Immer wieder, wie im Selbstgespräch, hielt er sich das vor, beschloß, als Wiedergutmachung um so intensiver nach dem Baby zu suchen. Am besten, er sprach zuerst mit den alten Kollegen; vielleicht ergab sich da ein Anhaltspunkt.
    Er brauchte nur die Lietzenburger Straße, eine häßliche innerstädtische Autoraserschneise, bis zu ihrem östlichen Ende hinunterzulaufen, keine Viertelstunde, dann war er da, erhoffte sich vom Wiedersehen, von Menschen und Räumen, angenehme Gefühle, Sentimentales («Weißt du noch…!?»). Doch als er dann durch die alten Gänge streifte, erschien ihm alles maßlos fremd, war er sich ziemlich sicher, niemals zuvor hier gewirkt, gelacht, gelitten zu haben. Wieder erschrak er, zweifelte sekundenlang daran, überhaupt zu existieren, er zu sein, denn seine Zukunft versuchte er immer zu verdrängen, diesen Job als Lehrbeauftragter auf Zeit an der HÖV in Bramme, so erfolgreich, daß es recht eigentlich keine Dimension der Zukunft für ihn gab. Und nicht anders war es auch mit seiner Gegenwart. Entwurzelt war er, aufgelöst hatte sich alles, was ihm einmal viel gegolten hatte: seine Familie, das Haus in Hermsdorf draußen, seine Träume. Die Gegenwart war Leere, sein Leben ein zeitlos-ungewisses Schweben, ein Nicht-Zustand. Und nun mußte er auch noch erkennen, daß er nie ein Vorleben gehabt hatte, keine Vergangenheit.
    Das alles traf ihn wie ein Schock, und er mußte in eine der Toiletten eilen, sich in eine Zelle einschließen und hinsetzen, warten, bis sich Herz und Magen wieder entkrampft hatten, der starke Schweißausbruch vorüber war. Hätte er doch noch länger in der Klinik bleiben sollen? Nein! Die Angst, sie könnten ihn für immer dort behalten wollen…
    Nervöser Durchfall noch, dann ging es wieder, und er fühlte sich stark genug, bei den Leuten vorzusprechen, die sich voll spezialisiert hatten auf Tötungsdelikte an Kindern.
    Nach einigem Hin und Her geriet er an eine junge Kommissarin, die ebenso kompetent wie verwirrend auf ihn wirkte; letzteres vor allem deswegen, weil sie aussah wie die Lilo Mannhardt von vor dreißig Jahren, zur Zeit der ersten Liebe und der ersten Nacht. Noch einmal alles von vorne beginnen können… Von vorne, von vornherein… Sofort hatte er das Bild vor Augen, wie er über Lilo lag und es vor lauter Erregung nicht schaffte, das Tor zur Seligkeit zu finden, sonstwo hinstieß… Er grinste derart offensichtlich, daß sich die junge Kollegin, durch viele gewerkschaftliche Schriften vor geilen Übergriffen gewarnt, instinktiv hinter ihren Schreibtisch flüchtete.
    Mannhardt riß sich zusammen und fragte, ob sie die Dame sei, die man ihm so sehr ans Herz gelegt habe (schon wieder diese Anspielung, mein Gott!), die Bettina Taubert.
    «Ja…» Sie wußte natürlich, daß und warum Mannhardt in der Psychiatrie gewesen war.
    Und da Mannhardt wußte, daß sie es wußte, war er nun derart verunsichert, daß er nicht anders konnte, als sich mit einem seiner altbewährten Kalauer wieder etwas Luft zu verschaffen. «Sie heißen Taubert – und da leben Sie noch…?»
    «Wieso…?»
    «Na, der Georg Kreisler singt doch immer: Gehn wir die Taubert vergiften im Park…»
    Sie lachte, aber Mannhardt sah ihr deutlich an, wie sie darüber nachdachte, ob wohl ihre Judokünste im Falle eines Falles auch wirklich ausreichen würden. Schließlich hatte dieser Mann versucht, ihren Kriminaldirektor Dr. Weber mit einem Stein, einem Vielloch-Ziegel zu erschlagen, und zuzutrauen war ihm deshalb auch, daß er nun über sie herfiel… Wie

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