Da hilft nur noch beten
nach ihr. Millionen Augen sehen mehr als zwei!»
Mannhardt und Corzelius kamen aus der Küche gelaufen, den langen Flur hinunter und hielten vor ihr. Einerseits erleichtert, daß sie wieder Reaktionen zeigte, andererseits erschrocken darüber, wie hysterisch-heftig sie war.
«Das wäre Wuthenows Ende!» rief Corzelius. «Das wissen wir doch, das willst du doch nicht!»
«Erst kommt mein Kind!»
Mannhardt nahm Partei für sie. «Vielleicht hat sie recht, und unsere Kräfte reichen nicht. Ist denn das wirklich so schlimm, wenn wir Presse und Polizei einschalten und dabei sagen, daß du der Vater bist…?»
Corzelius stampfte mit dem rechten Fuß auf den Boden. «Ja, das ist es!»
«Quatsch!» Mannhardt sah ihn böse an. «Meinst du denn, da rennt wirklich einer zum Standesamt hin und sieht nach, ob du als Vater eingetragen bist? Oder er holt sich Blut und Samen von dir für’n Vaterschaftstest!?»
«Wie witzig! Aber kannst du dir möglicherweise vorstellen, daß alle Zeitungen das bringen: Jessica nächste Woche ganz groß aufm Bildschirm – und nun ihr Baby verschwunden, und daß Gunhild das sogar in Bramme lesen wird…!? Die Scheidung läuft doch noch, und wie steh ich denn da!? Wie oft darf ich ‘n dann meine eigene Tochter mal bei mir haben!?»
«Schön, aber bei Yemayá, da geht’s doch nun wirklich um mehr, da geht’s um alles!»
«Bei Wuthenow und mir, da geht’s auch um alles! Wir finden die Kleine auch so!»
«Ja, wann denn!?» schrie Jessica. «Ihr seid doch viel zu dämlich dazu! Mit dem Mund vorneweg, aber sonst…»
«Nu hör mal, das ist nun wirklich ungerecht! Seit vierundzwanzig Stunden sind wir ununterbrochen…»
«Darum ja! Darum ja müssen jetzt auch andere…»
«Dir geht’s ja nur um Reklame für dich!» schrie Corzelius. «Daß du mal so richtig im Mittelpunkt stehst, daß alle dich kennen!»
«Danke für den Tip!» Jessica sprang in das Berliner Zimmer zurück, schlug die Tür so schnell und krachend zu, daß die beiden Männer dies unmöglich noch verhindern konnten, und drehte dann sowohl Riegel wie Schlüssel herum. «Ich ruf jetzt an, da könnt ihr machen, was ihr wollt!»
Corzelius warf sich mit aller Macht gegen die Tür, seine Schultern als Rammbock benutzend, doch es war dickes, sehr solides Holz, und er hatte keine Chance mehr.
11.
«Ja, Rolf, sie ist so süß, wie sie hier bei mir im Bettchen liegt und mit ihrer Quietschepuppe spielt…! Katharinchen, sag mal was, der Papi hört das dann bei sich in Afrika…!» Vera hielt der Kleinen den bordeauxroten Hörer hin und wartete, bis sie einige Male üh-üh! gemacht hatte und nun an der sanften, runden Plastik lutschen wollte. «Das ist aber bah! So, da bin ich wieder! Dann komm mal bald wieder hergeflogen, deine Tochter besichtigen; die ist schon ganz verrückt nach dir! Ja, verstehe… Wenn ihr den Probelauf… Die Probleme mit der Turbine, ja. Ja, natürlich. Machen wir mal Schluß, sonst geht noch deine ganze Auslandszulage drauf… Ja, ich dich noch viel mehr; wir beide haben dich ganz doll lieb und denken jeden Tag an dich. Deine beiden Frauen, ja. Tausend Küßchen dann und: Tschüssi!!» Sie legte den Hörer behutsam auf die Gabel und wischte sich die Tränen aus den Augen.
So saß sie minutenlang da, versunken in den Anblick des kleinen Wesens, das da vor ihr strampelte und krähte, dem Augenblick hingegeben, mit sich und seiner Welt zufrieden, eins mit ihr. Sie stand auf, nahm es in den Arm und trug es durch die kleine Neubauwohnung, liebkoste es, jauchzte selber vor Vergnügen, als die weichfeuchten Fingerchen ihr Gesicht abzutasten begannen. «Ja», sagte sie, «du mußt alles mit den Händen greifen, damit du’s begreifen kannst – das weiß die Mami alles aus den klugen Büchern.»
Draußen auf den stählernen Bögen fuhr die Hochbahn vorbei, eine eigelbe Schlange, und sie versprach der Kleinen, sie bald einmal darin mitzunehmen.
«Dann fahren wir zur Jessica, die hat auch eine so süße Tochter wie du, die heißt Yemayá, und mit der kannst du dann schön zusammen spielen. Und wenn ihr erst größer seid, dann werdet ihr vielleicht Freundinnen und…»
Sie brach ab, erschrocken über einen jüngeren Mann mit einem schwammig-aufgedunsenen Gesicht, der langsam die Straße entlangschlenderte und offenbar versuchte, den Leuten in die Fenster zu blicken. Unwillkürlich wich sie ein paar Schritte zurück.
«Da ist der böse Mann, der kleine Kinder fangen will!» Sie zitterte am
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