Da hilft nur noch beten
werden, denn in Jessicas Zirkel hatte Vera stets als unattraktiver Trampel gegolten, plump und von einer entsetzlichen Brille um ihre letzten Chancen gebracht, zudem mit einer Erkrankung ihrer Talgdrüsen belastet, so daß sie ständig vor sich hinmüffeln mußte, zumeist den Geruch ranziger Butter verströmte.
Vera aber reagierte gar nicht aggressiv, lächelte nur und drückte ihre Wange auf den zarten Flaum des Kinderkopfes. «Der Vater heißt Rolf und ist Ingenieur…»
Tatjana sprang wieder auf, um das Fenster aufzureißen, denn auf ihre selbstgedrehte Zigarette konnte sie trotz des Babys im Raum keineswegs verzichten. «Rolf…? Ah, ja, das ist der verheiratete Mann, mit dem du…?»
«Das war doch nur mal bei der Buchmesse…»
Tatjana grinste, denn das hatten sie ihr damals gemeinerweise angedichtet. «Aber bei dir am Namensschild steht doch immer noch Urbanske, dein Mädchenname…?»
«Ja, weil Rolf wieder nach Nigeria mußte, da ‘n Kraftwerk bauen…!» Stolz zeigte sie auf den Platz überm Fernseher, wo eine Karte Afrikas hing, mit einer Kraftwerksskizze über dem schwarzen Pünktchen von Lagos und angepinnten Ansichtskarten. «Wenn er wiederkommt, heiraten wir…»
«Congratulations!» Tatjana umarmte sie, so gut das Baby es gestattete, und drückte ihr drei Schickimicki-Küßchen auf die Backe. «Ich gönn es dir, meine Alte! Und was haste mit deiner ‹Bücherstube› gemacht?»
«Die hab ich verpachtet, weil ich mich ja jetzt voll und ganz um das Kind kümmern muß.»
«Na, scharf auf so ‘nen Balg warste ja schon immer. Wie heißt er-sie-es denn?»
«Katharina…» Vera zog die Kleine hoch zu sich und herzte sie.
«Hör auf!» knurrte Tatjana. «Wenn ich was hasse, dann den Mutterkult. ‹Nur eine Mutter weiß allein, was lieben heißt und glücklich sein!› Hing bei meiner Tante immer überm Sofa; aus ihrer BDM-Zeit wahrscheinlich. Aber ganz was anderes mal: Der Carlo und ich, wir haben jetzt ‘n Restaurant aufgemacht, echt Spitze, und da suchen wir noch ‘n paar Bekannte, die am Geldverdienen interessiert sind: kleine Einlage, große Rendite. Da ist ville mehr drin als in deiner Buchhandlung: Die Leute wollen heute beieinander hocken und reden, nicht alleine zu Hause sitzen und lesen. Nie was davon gehört, daß wir keine Schriftkultur mehr sind, sondern wieder zurückkehren zum gesprochenen Wort?»
Da Tatjana ihre Zigarette gerade ausdrückte, schloß Vera ihr großes Fenster wieder. «Ich hab dir doch gesagt, daß ich kein Geld mehr verleihe; Rolf will das auch nicht…»
«Mit fünfhundert Mark sind Sie dabei!»
«Keinen Pfennig!» beharrte Vera.
Tatjana fiel nun mit großer Geste in den Sessel und begann zu schluchzen. «Mensch, Vera, hilf mir bitte! Meinst du, ich zieh gerne überall herum und bettele…!? Aber die haben gedroht, uns umzulegen, Carlo und mich, wenn wir unsere Schulden nicht bezahlen…»
«Du bist ‘ne gute Schauspielerin, Tatjana…!»
«Ja, aber neue Rollen krieg ich trotzdem nicht! Und es ist wirklich wahr, du, wir stecken ganz tief in der Scheiße drin. Die bring’n uns wirklich um, genauso wie…» Sie brach plötzlich ab.
Vera schüttelte den Kopf. «Die Banken werden doch keinen umbringen, der seine Kredite nicht pünktlich zurückzahlen kann!»
Tatjana, ein durch und durch hyperkinetischer Mensch, sprang nun wieder auf und lief im Zimmer umher. «Gott, bist du naiv! Von den Banken kriegen wir doch schon lange nichts mehr; private Geldgeber sind das, die… Haste schon mal was von Kredithaien gehört…?»
«Ja, aber…» Vera schwankte, wurde aber einer augenblicklichen Entscheidung enthoben, da die Kleine nun fürchterlich zu schreien anfing. «Du hast ja recht, Katharinchen, die Windel ist voll – und wie!?» Genaueres Abtasten hatte das schnell ergeben. «Ich muß erst einmal ins Bad, ‘ne neue Windel…»
«Ja, klar…» Tatjana folgte ihr und sah angewidert zu, wie sich Vera an die Reinigung des kotverschmierten Pöchens machte.
«Oh, unser Puder ist alle! Hältst du mal bitte, ich hab neuen in der Küche, ich hol den mal schnell.»
«Ja, wenn’s sein muß…»
Tatjana faßte die beiden Füßchen und hielt sie hoch, von einem gewissen Brechreiz erfaßt, aber trotz ihrer so offen zur Schau gestellten Ablehnung wurde sie von der Kleinen unaufhörlich angelächelt. Das nervte sie unheimlich, zwang sie aber, auch wenigstens zu grinsen.
So sahen sie sich beide lange an, studierten sich.
12.
Jessica hatte sich auf
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