Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz
werden?«
»Die natürlichen Ursachen sind meist ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall.«
»Wie sieht es mit Gift aus?«
»Gift ist immer möglich. Zum Beweis müsste ich eine Blutuntersuchung vornehmen. Das wird aber dauern.«
»Die Gerichtsmedizin wird das übernehmen. Die Kollegen werden in Kürze hier sein, um die Leiche abzuholen. Vielen Dank, Herr Ching.«
Rubin ließ ein letztes Mal seinen Blick über die Leiche Serkans gleiten.
»Kann ich jetzt schon den Totenschein haben?«
Peng Ching nickte und lächelte sanft.
6
Freitag tappte vorneweg, schnüffelte hie und da, wartete gespannt, nahm erneut Witterung auf und tapste weiter. Rubin und Bernstein überquerten langsam den Marktplatz.
Sie rieben kräftig ihre Hände und verteilten das Desinfektionsmittel, das ihnen Peng Ching gegeben hatte, so gründlich wie möglich.
Es ging bereits auf zwölf Uhr, der Regen war jetzt vorüber, und der Himmel zeigte ein eintöniges Grau.
Bernstein lenkte seine Schritte zielstrebig in Richtung des Restaurants »Da Ricardo«.
»Sag nur, du hast Hunger nach dieser Untersuchung?«, sagte Rubin.
»Meiner Treu, ich kann nichts dafür, ich habe Hunger wie ein Berserker und überdies das dringende Bedürfnis, wieder frisches Leben in Form eines vollmundigen Bardolino in meinen Leib hineinzugießen. Wie sieht’s aus, kommst du mit?«
Rubin sah auf die Uhr. »Also gut, Bernstein, essen muss ich sowieso irgendwann einmal. Mal sehen, ob ich was herunterkriege.«
»Auf zu Ricardo!«, rief Bernstein. »Übrigens, was ich die ganze Zeit schon sagen wollte: Wo hast du dir eigentlich das kleine Dienstabzeichen auf der Stirn geholt?«
»Ein Willkommensgruß eines urkomischen Hausmeisters.«
Bernstein lachte trocken. »Schulte! Was wäre Bad Löwenau ohne den Dampfhammer seines Humors!«
Rubin grinste und zupfte das Pflaster von seiner Stirn.
Zwischen der Touristikinformation und dem Hotel am Marktplatz lag das Restaurant »Da Ricardo«. Es war kein Fachwerkhaus, sondern ein verputzter Bau aus der Gründerzeit mit geklinkertem Sockel und hohen weiß gerahmten Fenstern mit Oberlicht.
Als die beiden das Lokal betraten, lag der einladende Duft nach herzhaftem Knoblauch, frischen Meeresfrüchten und überbackenem Käse in der Luft.
An diesem Mittag herrschte im Gastraum mehr Trubel als sonst um diese Zeit, und es schien, als hätten sich die Schaulustigen, nachdem am Brunnen nichts mehr zu sehen gewesen war, unmittelbar der nächsten Attraktion zugewandt: der köstlichen Küche Ricardos.
»O Mamma mia, der arme Serkan!«, rief Ricardo. »Isse schlimme Sache. Ganze Stadt stehe Kopfe!«
»Darf ich die beiden Herren einander vorstellen?«, sagte Bernstein. »Ricardo, unser Meisterkoch, der größte Küchenzauberer zwischen Bad Löwenau und Mailand. Und mein ältester Freund aus Jugendtagen, Christoph Rubin, der neue Leiter der Polizei.«
Ricardo verneigte sich und streckte Rubin die Hand entgegen. »Sage ich herzlich willkomme, Christophe. Freunde von Carlo isse auch meine Freunde. Und wer isse das?«, fragte er mit Blick auf den Golden Retriever.
»Das ist Freitag. Eine treue Seele«, sagte Rubin.
»Iche habe Tische für euch am Fenster. Nehmt Platze, bin ich gleich bei euche. Habe ich heute wunderbare Seeteufel. Christophe, was wolle trinke, Bier oder Bardolino?«
Rubin zögerte, war es nicht noch zu früh für Alkohol? Andererseits konnte er nach der Obduktion durchaus ein kleines erhellendes Schlückchen gebrauchen.
»Ein Bier bitte«, sagte er.
»Ah«, rief Ricardo, und ein Strahlen huschte über sein Gesicht, »schöne Bad Löwenauer Pils, aus Heilwasser gebraut, hundert Prozent gesunde! Und du, Carlo, trinke wie immer?«
Bernstein nickte.
»Und für Freitag schöne Schälche Aqua. Subito.«
Ricardo sprach rasend schnell und mit starkem, lebhaftem italienischem Akzent. Er sprach niemals korrektes Deutsch, und niemand wusste, ob er es tatsächlich nicht besser konnte oder ob er es des »italienischen Flairs« wegen einfach nicht wollte.
Er rief schallend in den Raum: »Caterina, meine Schatze, bring hier schöne Bier und Bardolino!«
Und damit war Ricardo schon wieder verschwunden. Rubin und Bernstein nahmen am Fenster Platz, Freitag rollte sich zu ihren Füßen zusammen.
Sie sprachen eine Zeit lang kein Wort, ein wenig befangen, ein wenig unschlüssig, was sie jetzt, nach dem unerwarteten und turbulenten Wiedersehen nach vielen Jahren, sagen sollten. Bernstein klopfte mit den Fingern seiner rechten Hand einen
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