Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz
sie bloß schweigend an.
»Ich weiß, die Polizei, also Sie, Herr Rubin, tut alles in ihrer Macht Stehende. Doch ich muss Sie noch einmal darauf hinweisen, dass es in diesem Fall von größter Bedeutung ist, dass wir zeitnah Klarheit erhalten. Die Verdachtsmomente, die im Raum schweben, müssen so früh wie möglich entkräftet werden. Ich erhalte Informationen von überstürzten Kurabbrüchen, die mehr als alarmierend sind!«
Von Roth stand auf und ging nervös auf und ab; dabei schielte sie immer wieder auf Freitag, der sich nicht rührte.
Rubin sagte noch immer nichts.
»Es steht viel auf dem Spiel«, sagte von Roth mit einem Ausdruck in der Stimme, der weniger energisch klang, als sie beabsichtigt hatte. Sie beugte sich über den Schreibtisch.
»Ich weiß, Sie sind der richtige Mann. Sie sind ein Kind unserer Stadt. Und jeder weiß: einmal Bad Löwenauer, immer Bad Löwenauer. Herkunft verpflichtet. Sie wissen, was Sie tun, ich vertraue Ihnen.«
Rubin sah, wie ihre Augen hin und her huschten, ihre Lippen bebten. Sein beharrliches Schweigen irritierte, ja entwaffnete sie. Rubin hatte genug gehört: Er stupste Freitag, der die ganze Zeit bewegungslos neben ihm gelegen hatte, an und warf von Roth einen letzten Blick zu. Dann schwang er sich mühelos aus der Tiefe des Stuhls.
Er ordnete langsam seinen Mantel und kehrte der Fürstin den Rücken.
21
Noch immer grollte der Wind. Er fegte über den Marktplatz, dicht über dem Kopfsteinpflaster. Freitag passierte nur unwillig die Tür des Rathauses.
Der Sturmwind, eiskalt und feucht, jagte die wenigen Menschen, die hinausmussten, wie Freiwild vor sich her. Nein, es war kein Wetter für einen erholungsbedürftigen Kurgast und ein Wetter zum Wasserschöpfen schon gar nicht.
So stand der Löwenbrunnen nach wie vor einsam da, das schöne Heilwasser plätscherte und plätscherte, während der Wind winzige, sich langsam kräuselnde Wellen über das Wasser im Auffangbecken trieb.
Rubin zog seinen Schal fester um den Hals. Gerade wollte er einen Schritt zulegen, als er Hausmeister Schulte entdeckte, der mit Farbeimer und Pinsel vor dem Café Schirner stand.
Hausmeister Schulte war mehr als nur Hausmeister, er war der stolze Nachfahre einer alteingesessenen Hausmeisterdynastie in Bad Löwenau.
Sein Uhrahn schloss das Stadttor auf und wieder zu und zündete die Laternen an. Sein Vater verband die klassischen Hausmeisteraufgaben mit denen des Handwerkers. So war es Schulte in die Wiege gelegt, einmal der Tausendsassa von Bad Löwenau zu werden, den man vertrauensvoll mit den unterschiedlichsten Aufgaben betraute.
Schulte tauchte den Pinsel in den Eimer und zog ihn wieder heraus. Der Sturm peitschte die Hälfte der Farbe aus den Borsten. Die Farbe, die nur annäherungsweise dem Fassadenton entsprach, tröpfelte in kleinen Klecksen aufs Pflaster.
»Morgen, Christoph«, sagte Schulte, dessen Nase vor Kälte dunkelrot war, »Carls Artikel hat ja gewaltig eingeschlagen.« Er deutete kopfschüttelnd mit der Pinselspitze auf die Fassade des Cafés.
Auf der Wand stand zu lesen: »Keine Macht dem …«
Der Rest des Satzes war bereits von Schultes groben Pinselstrichen übertüncht.
»Was hat da gestanden?«, fragte Rubin.
Schulte ging unbeirrt daran, die nächsten Worte zu tilgen. Offensichtlich hatte er bei dem Sturm die Frage nicht verstanden. Oder hatte sie nicht verstehen wollen.
Rubin schrie gegen den Wind: »Was hat da gestanden?«
Schulte zuckte mit den Schultern und rief: »Ein schlimmes Wort, das mein jüngstes Enkelkind besser nie zu Ohren bekommt.«
Während Schulte weitermalte, beobachtete Rubin aus dem Augenwinkel, wie zwei Männer schnellen Schrittes den Marktplatz überquerten. Der eine war Bernd Schirner, den anderen konnte Rubin nicht deutlich erkennen, denn er trug die fellbesetzte Kapuze einer wattierten Winterjacke über dem Kopf. Nur die robuste Statur und die hölzernen Bewegungen des Mannes kamen Rubin bekannt vor. Schirner trug eine Zeitung unter dem Arm. Die beiden Männer unterhielten sich lebhaft. Jetzt blieben sie etwa in Höhe von »Da Ricardo« stehen. Schirner gestikulierte wild und unbeherrscht. Niemand sonst war auf dem Marktplatz, außer Schulte, der strich, und Rubin, den Schirner offensichtlich noch nicht bemerkt hatte.
Im nächsten Augenblick sah der Hauptkommissar, wie eine Windböe die Kapuze des anderen Mannes erfasste und seinen Schädel entblößte. Es war der Russe – Igor!
Sie sprachen noch kurz miteinander, dann reichten
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