Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz
überspielte sie ihre Verlegenheit und sagte mit einem ironischen Unterton: »Du bist ja ein richtiger Romantiker.«
»Sagen wir besser: Teilzeit-Romantiker. In gewissen Situationen kann ich einfach nicht widerstehen.«
Ayse senkte ihren Blick. »Du hast Serkan sehr gut beschrieben. Ich frage mich nur: Woher wusstest du das alles? Das mit dem Studium, das mit seiner Freundin?«
»Hör mal! Ich bin Journalist. Ich habe recherchiert!«
»Du hast von Dingen geschrieben, die noch nicht einmal der Familie Arslan bekannt sind.«
Bernstein stutzte. »Wie? Und woher weißt du das?«
Ayse musterte Bernstein ungläubig und legte ihre Stirn in Falten. Sie langte in einen Papierstapel auf ihrem Schreibtisch und hielt Bernstein ihre Visitenkarte vor die Nase:
»Ayse Arslan, Journalistin«.
»Ich muss schon sagen: Du hast wirklich blendend recherchiert, Carl«, sagte sie. »Ich bin Serkans Cousine.«
Bernstein riss die Augen auf und sprang vom Schreibtisch. »Bei allen Grafen und Kalifen: Die Runde, meine Schöne, geht an dich«, sagte er voller Anerkennung. »Serkan war dein Cousin! Habt ihr euch gut gekannt?«
»Er hat früher bei uns im Haus gewohnt. Dann bin ich ausgezogen. Seitdem Serkan allein gelebt hat, hatten wir keinen regelmäßigen Kontakt mehr.«
Bernstein setzte sich wieder. »Hast du Serkan in meinen Worten wiedererkannt?«
»Im Großen und Ganzen schon. Er war ein eigenartiger Mensch. Er hat nie das getan, was man von ihm erwartete.«
»Das spricht ganz und gar für ihn und ist fast schon ein Luxus heutzutage. Doch wie meinst du das genau?«
Ayse strich ihre weiße Bluse glatt. »Unsere Kultur verlangt gewisse Dinge von uns. Sie legt genau fest, wie ein Mann und eine Frau zu sein haben. Serkan entsprach überhaupt nicht dem Bild dieses typischen Mannes.«
»Er war ein Freund der Literatur!«
»Er hat gelesen wie ein Irrer, tage- und nächtelang. Gedichte und Märchen, auf Deutsch und auf Türkisch. Er hat auf Familienfeiern immer etwas vortragen müssen. Wie hat er das gehasst!«
»Ha, darin sind wir uns doch alle gleich: Onkel Suleiman und Tante Lisbeth reichen sich die Hände!«
»Serkan hat auch viel Gitarre gespielt, Lieder von den Beatles, den Rolling Stones und auch aktuelle Sachen. Er hat sogar versucht, traditionelle türkische Musik auf der E-Gitarre zu spielen. Es klang gar nicht übel. Aber er hat es nicht weiterverfolgt, obwohl er viele Stunden investiert hat. Er war dann oft müde während der Arbeit im Mini-Supermarkt.«
»Das kann Hassan nicht gefallen haben.«
»Natürlich nicht. Hassan ist das genaue Gegenteil seines Bruders, er hat keinen Sinn für Musik oder Literatur. Aber er ist weniger cool, als es den Eindruck macht. Er hätte zu jeder Zeit alles für seinen Bruder getan. Wirklich alles. Er würde auch jetzt alles tun, um ihn wieder zurückzubekommen …« Ayse brach ab. Tränen füllten ihre Augen.
Bernstein sagte nichts und legte sanft seine Hand auf ihre. Er berührte sie nur kurz, doch in der Berührung drückte sich seine ganze Anteilnahme aus.
»Es geht schon wieder«, flüsterte Ayse.
»Serkan wollte Kunst studieren. Hatte er Talent zum Malen?«
»Die Malerei ist seine große Leidenschaft gewesen, mehr noch als die Musik oder die Literatur. Ob er Talent hatte, weiß ich nicht. Ich habe einmal seine Bilder in seiner Wohnung gesehen. Abstrakte Malereien, die im Grunde jeder kann. Mir hat es nichts gesagt, aber ich bin da nicht repräsentativ.«
Bernstein überlegte.
»Und die Liebe, wie sah es damit aus?«
Ayse zögerte mit der Antwort und sagte schließlich: »Woher weißt du das? Die Liebe Serkans war ein gut gehütetes Geheimnis. Ich weiß es auch nur durch Zufall von einer Bekannten.«
»Kennst du den Namen der Auserwählten?«
»Ich weiß gar nichts über sie. Nur so viel: Sie muss eine Deutsche sein. Und ich weiß: Sie hat Serkan sehr, sehr gutgetan. Sie hat ihm neuen Lebensmut gegeben. Ich hatte mich zuerst gewundert. Irgendwann hatte Serkan sich verändert, er war lockerer geworden, viel lustiger und temperamentvoller. Wenn so etwas geschieht, dann ist immer Liebe im Spiel.«
»Neue Besen kehren gut«, sagte Bernstein.
»Das klingt aber nicht sehr romantisch.«
»Der Romantiker legt eine schöpferische Pause ein.«
Bernstein dachte nach.
»Das Entscheidende ist«, sagte er nach einer Weile, »warum hat Serkan seine Liebe geheim gehalten? Welchen Grund kann es dafür geben?«
»Keine Ahnung, vielleicht weil sie eine Deutsche war. Aber das glaube
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