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Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition)

Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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zusammen einen Toast Hawaii essen können?«
    »Toast Hawaii?«, fragt Valentin begeistert und lässt das Raumschiff sinken. »Ist das der mit Käse und Ananas und Schinken?«
    »Genau der«, erwidert Helena zwinkernd.
    »Keine Papaya?«, hakt Valentin nach.
    »Keine Papaya«, bestätigt Helena lächelnd.
    »COOL!«, ruft Valentin und wedelt aufgeregt mit seinem Raumschiff herum. »Warum hast du das denn nicht gleich gesagt? Ich dachte schon, du hättest wieder Vitamine und so geschnippelt. Klar kann ich zwischenlanden! Wo genau liegt denn Kroko-Island?«
    »Hm«, sagt Helena und sieht sich zwischen den verstreuten Socken im Kinderzimmer um, dann streckt sie eine Hand aus und deutet über das Bett. »Da vorne auf dem Fensterbrett sieht es sehr nach Kroko-Island aus.«
    »Sicher?«, fragt Valentin.
    »Absolut«, meint Helena. »Da sitzt doch auch dein Stoffkrokodil. Also, wo sonst sollte Kroko-Island sein?«
    »Stimmt!«, sagt Valentin und lässt das Raumschiff in Richtung Fenster fliegen. Kurz darauf landet es auf Kroko-Island, und Valentin hüpft über zwei Paar Socken hinweg zu seiner Mutter.
    »Ist der Toast schon fertig?«, fragt er.
    »Ja«, sagt Helena. »Aber leider können wir ihn nicht essen.«
    »Was?«, fragt Valentin entsetzt. »Warum nicht?«
    »Weil der Weg zurück in die Küche mit Socken versperrt ist«, erwidert Helena und hebt bedauernd ihre Schultern.
    »Haha«, sagt Valentin, »so viele Socken habe ich gar nicht.«
    »Doch«, entgegnet Helena und deutet auf den Fußboden. »Ich kann mich jedenfalls keinen Schritt bewegen, ohne auf einer Socke auszurutschen.«
    »Auf Socken rutscht man doch nicht aus«, widerspricht Valentin.
    »Also, ich schon«, sagt Helena und lässt sich zum Beweis wild mit den Armen fuchtelnd auf den Boden fallen.
    »Mama«, schimpft Valentin. »Hör auf, solchen Quatsch zu machen, dafür bist du zu alt! Das ist voll peinlich!«
    »Ich bin doch nicht alt«, erwidert Helena.
    »Doch. Im Gegensatz zu mir schon«, erklärt Valentin und fängt dabei an, seine Socken in die oberste Schublade der Kommode zu werfen, damit seine Mutter unverletzt aus dem Zimmer und bis hin zum Toast Hawaii kommt. »Aber im direkten Vergleich mit Oma und Opa nicht.«
    »Danke«, sagt Helena. »Das ist sehr beruhigend.«

    Die letzte Socke landet mit einem leisen Plopp in Valentins Kommode, und da steht seine Mutter endlich wieder vom Fußboden auf, damit sie sich auf den Weg in die Küche machen können. Valentin flitzt voran, aber als er an Helenas Arbeitszimmer vorbeikommt, bleibt er abrupt stehen und blickt stirnrunzelnd auf den Schreibtisch.
    »Was ist denn los?«, fragt Helena überrascht.
    »Musst du heute noch arbeiten?«, fragt Valentin unsicher. »Da liegen schon wieder lauter dicke Manuskripte auf deinem Tisch. Oder hast du die alle durchgelesen?«
    »Nein«, antwortet Helena. »Die habe ich noch gar nicht angefangen. Im Moment lese ich das Manuskript, das im Schlafzimmer neben dem Bett liegt. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen: Heute möchte ich kein einziges Wort mehr sehen.«
    »Aber warum denn nicht?«, will Valentin erstaunt wissen. »Du magst doch sonst immer Worte.«
    »Ja, eigentlich schon«, erwidert Helena. »Aber zurzeit bin ich mit einem traurigen Manuskript beschäftigt, und davon kann ich nicht so viel auf einmal lesen.«
    »Warum nicht?«, fragt Valentin. »Du liest doch oft traurige Sachen.«
    »Das stimmt«, sagt Helena. »Aber in diesem Buch sterben so viele Menschen, dass ich zwischendurch eine Pause machen muss, um ein wenig am Leben teilzuhaben.«
    »Aber du lebst doch in jedem Moment ganz viel«, sagt Valentin nachdenklich. »Egal ob du gerade in einem Buch feststeckst oder Papayas kaufst. Und eine Geschichte, in der ganz viel Tod vorkommt, die muss doch auch voll mit Leben sein. Weil das beides zusammengehört.«
    »Ach du«, sagt Helena und streicht ihrem Sohn über sein dichtes braunes Haar. »Du bist ganz schön klug.«
    »Klar«, sagt Valentin. »Das habe ich von dir geerbt. Und falls ich eines Tages mal unsichtbar werde, dann habe ich das bestimmt von Papa.«
    »Bloß nicht«, sagt Helena. »Bleib ja sichtbar!«
    »Okay«, erwidert Valentin. »Aber nur, wenn ich jetzt endlich meinen Toast Hawaii bekomme.«
    »Abgemacht!«, stimmt Helena zu.
    Und dann gehen die beiden weiter in die Küche, und während sie dort schließlich zusammen am Tisch sitzen, in dem strahlend hellen Sonnenlicht, gemeinsam mit drei schiefen Papiervögeln, die Valentin einmal gebastelt

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