Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition)
einer kurzen Stunde. In euren Gedanken gehört jeder Raum der Welt euch, in euren Gedanken seid ihr – bis zum Schluss – unendlich.«
Dann verschwindet der kleine König meistens, denn er bleibt nie lange in ein und demselben Augenblick. Er liebt es, unterwegs zu sein, nirgendwo anzukommen, an nichts und niemanden gebunden zu sein. Er mag die Gelassenheit, die er in sich trägt, und das Wissen, das in ihm wächst, genauso wie die Geheimnisse, die ihn umgeben.
Doch dann, eines Tages, nachdem der kleine König zwei Jahre unterwegs gewesen ist, kommt er schließlich zurück nach Hause, zu seinen Eltern, die noch immer inmitten der Lücke der Realität wohnen. Die beiden freuen sich sehr, ihren kleinen Sohn endlich wiederzusehen. Sie heben ihn hoch in die Luft, wirbeln ihn umher und freuen sich, dass er endlich, endlich heimgekehrt ist.
Und da weiß der kleine König auf einmal, dass er nun genug gesehen hat, von der Welt und von den Menschen und von der Zeit. Nun ist er bereit, an dem Ort zu bleiben, an den er gehört, fernab von dem Trubel der schlagenden Uhren, der eilenden Stunden, der hastenden Minuten, der blank polierten Sekunden.
Also fragt der kleine König seine Mutter, ob sie ihm zum Abendessen vielleicht Milchreis mit Apfelmus und Zimt und Zucker machen könnte.
Sie verspricht es ihm lächelnd.
Daraufhin fragt der kleine König seinen Vater, ob er ihm zum Einschlafen vielleicht eine Geschichte aus dem dicken Abenteuerbuch vorlesen könnte.
Er verspricht es ihm lächelnd.
Und da freut sich der kleine König sehr – denn natürlich kann er schon längst alleine Milchreis kochen, und lesen kann er selbstverständlich auch, aber er ist mittlerweile alt und weise genug, um zu wissen: Es gibt nichts Schöneres, als sich die Zeit zu nehmen, die man braucht, um in Ruhe erwachsen werden zu können.
Vor allem dann.
Wenn man alle Zeit der Welt hat.
Und so nimmt der kleine König die gelbe Plüschente vom Boden auf, streicht ihr sacht über das ausgeblichene Fell und setzt sie auf sein Bett, neben das hellgrüne Kopfkissen. Er zieht die Decke über ihre Watschelfüße, schiebt ihren Kopf zwischen die Flügel und gibt ihr einen Namen, damit sie endlich schlafen kann.
Und falls sich nun jemand fragt, was das hier ist, die Wahrheit oder einfach nur irgendein Märchen – die Antwort ist ganz einfach: Es ist nicht irgendein Märchen.
Es ist ein ganz besonderes.
Es ist das letzte Märchen.
Das Erik Stevenson gehört hat.
Alice Clay.
Hat es ihm erzählt.
Zeitsprung
E s gibt Menschen, die verlaufen sich auf dem Weg ins Leben. Genauso, wie es Menschen gibt, die verlaufen sich auf dem Weg zum Tod. Eines haben sie alle gemeinsam: den Lauf der Zeit.
Es gibt Menschen, die glauben zu wissen, wo die Zeit hinführen wird, es gibt Menschen, die glauben zu wissen, dass alles in Ordnung ist, solange sie nur nicht wissen, wie schnell die Zeit verfließt und warum.
Es gibt Menschen, die waren noch nie in ihrem Leben betrunken, es gibt Menschen, die können sich gar nicht vorstellen, wie ein Tag ohne das weiße Rauschen beginnt.
Es gibt Menschen, die kommen immer überpünktlich, weil sie sonst das Gefühl haben, zu spät zu sein. Es gibt Menschen, die kommen immer zu spät, weil sie sonst das Gefühl haben, zu früh zu sein. Und es gibt Menschen, die kommen nie dort an, wo sie eigentlich hinwollten. Einige von ihnen scheitern an anderen, andere von ihnen scheitern an sich selbst. Wieder andere wissen gar nicht, dass sie scheitern. Und einige haben einfach nur Erfolg.
Um anschließend zu scheitern.
An ihrem Ruhm.
Es gibt Augenblicke, die sehen so aus, als wären sie unsichtbar, dabei ist immer irgendwer da, der sie erkennt. Es gibt Augenblicke, die fühlen sich an, als wären sie unantastbar, aber irgendwer berührt sie doch. Es gibt Augenblicke, die hören sich an, als wären sie unaussprechlich, und doch findet irgendwer ein Wort, das etwas verspricht.
Es gibt Geschehnisse, die benebeln unseren Verstand, es gibt Aufstände, die zerren an unserem Gewissen, es gibt Wissen, das berührt unseren Geist, es gibt Gespenster, die tanzen in unseren Gedanken.
Es gibt Wege, die sind unergründlich, es gibt Menschen, die denken nicht gründlich genug nach, bevor sie einen Weg betreten, und es gibt Gründe, die pflastern einen Weg, auch wenn er keinen Boden hat.
Es gibt Momente, die gehören allen Menschen zusammen, es gibt Momente, die gehören niemandem, nicht einmal einem Menschen allein. Es gibt Momente, die
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