Dabei und doch nicht mittendrin
Deutschland zu holen) ganz klar auf Deutschland fokussiert sind. Diese »Schizophrenie« (nicht im klinisch-pathologischem Sinne) lässt sich nur psychologisch deuten: Menschen möchten sich als Schutz- und Rückzugsoption eine Tür offen halten, falls die Zumutungen 17 und Ausgrenzungen unerträglich werden; der Einzelne will letztlich nicht mit der Mutter (mit dem »Mutterland«, dem türkischen Äquivalent zu »Vaterland«) brechen, auch wenn die Rückkehr bei vielen völlig unrealistisch bleibt.
Auch politische Anreize zur Rückreise haben sich langfristig betrachtet als ein wenig taugliches Steuerungsinstrument erwiesen: So ist im November 1983, also zehn Jahre nach dem offiziellen Anwerbestopp, das Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern unter der damaligen Kohl-Regierung verabschiedet worden. Es sah vor, dass die potenziellen Rückkehrer ihre gesetzlichen Rentenversicherungsbeiträge nach kurzer Zeit ausgezahlt bekommen (der Arbeitgeberanteil blieb der deutschen Rentenkasse erhalten) und unter bestimmten Bedingungen (Betriebsstilllegung oder Kurzarbeit) eine Prämie von 10 500 DM sowie 1 500 DM für die Ehegatten und pro Kind ausgezahlt wird. Nach Antragsstellung musste die Ausreise binnen vier Wochen vollzogen werden. Hiervon machten 140 000 Ausländer Gebrauch, 120 000 von ihnen waren Türken. Mit ihren Familien kehrten im Zeitraum der Gültigkeit dieses Gesetzes rund 240 000 Türken zurück.
Nicht überall und von allen wurde das wohlwollend aufgefasst; unter Türken und in der türkischen Presse wurde diese Form der Hinauskomplimentierung auch als eine »Hau-ab-Prämie« verstanden.
Migration und Integration: Was ändert sie bei Zuwanderern, was in der Aufnahmegesellschaft?
Integration ist nicht als eine völlige Anpassung einer Minderheit an Lebensverhältnisse und Weltdeutungsmuster der etablierten Mehrheit zu verstehen. Diesem Verständnis, das letztlich dem Begriff der Assimilation (wird auf den folgenden Seiten genauer erklärt) viel näher kommt, liegt die Vorstellung eines großen homogenen Fixums zugrunde, dem sich ein kleinerer Teil anschmiegt, indem er sich irgendwie einpasst. Integration bedeutet jedoch vielmehr eine Befähigung zur gleichberechtigten Teilhabe an gesellschaftlichen Leben und Ressourcen. Eine Teilhabe in vollem Umfang erfolgt in der Regel nicht unmittelbar mit der Migration, mit der physischen Ankunft in der neuen Lebenswelt, sondern erfordert mittel- bis langfristige Prozesse. Sie vollzieht sich in vielen Fällen auch nicht innerhalb einer, sondern erstreckt sich über mehrere Generationen.
Integrationsprozesse sind selten in all ihren Facetten, quasi sozialtechnologisch plan- und steuerbar, sondern leben von subjektiven Eigendynamiken, zufälligen Erfahrungen von Einheimischen wie Minderheiten, gleichwohl sie politisch natürlich nicht ganz unbeeinflussbar sind. So hat die Politik ab 1975 bis in die 80er Jahre versucht, mit einer Zuzugssperre für Ausländer (wie sie damals noch genannt wurden) in Ballungsgebiete mit einem Ausländeranteil von über 12 Prozent (dies betraf damals beispielsweise die Berliner Bezirke Kreuzberg, Tiergarten und Wedding) der Bildung von ethnisch geschlossenen Enklaven entgegenzuarbeiten. Dies könnte man zunächst als einen löblichen Versuch werten. Eine ganze Seite des Passes war mit diesem Vermerk, quasi als Wegmarker bei der Wohnungssuche, belegt. 18 Bei den Migranten wurde sie allerdings als eine massive Diskriminierung (Beraubung der Freizügigkeit, die jedem Einheimischen zusteht) und ökonomische Härte aufgefasst. Denn die für Migranten bezahlbaren Wohnungen, aber auch die Menschen, mit denen man sich in erster Linie austauschen und in Krisenzeiten beraten konnte, befanden sich eher in diesen Bezirken.
Versteht man Integration von ihren Gegenbegriffen her – der Desintegration, des Ausschlusses, der Aus- und Abgrenzung –, so wird deutlich, dass nicht nur Migranten integriert oder desintegriert sein können, sondern gleichfalls auch Teile der Mehrheitsgesellschaft. Folgerichtig heißt das: Fragen der Integration zielen nicht nur auf die Lebensbedingungen von Migranten ab, sondern sind gekoppelt an Fragen des gesellschaftlichen Umgangs sowohl mit der Ungleichheit von Ressourcenzugang und -verteilung als auch mit kultureller Vielfalt.
Wenn Migranten mit Anforderungen wie der Organisation des Alltags in einer modernen Gesellschaft, Integration in die Mehrheitsgesellschaft ohne die Aufgabe ihrer eigenen
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