DACKELKRIEG - Rouladen und Rap
brachialen Kraft sprengt und rascher altern lässt, als es in einer sterilen Welt ohne den ganzen Pflanzenmüll und die Kackphysik der Fall sein müsste. Wegen der Physik muss Vater jetzt wieder Speis mischen.
Vater lächelt sehr selten, aber diese Speisnummern machen ihm offensichtlich aufrichtig Spaß. Sechzig Jahre kaum ein netter Gesichtsausdruck, aber sobald er die nasse Masse anmischt, huscht ein unheimliches Lächeln über sein schönes Gesicht. Gespenstisch, denke ich mir dann immer, und sehe ihn genau vor mir. Woran er wohl beim Speis mischen denkt? Ich werde sein Grab mit Speis ausfüllen. Das wird ihn glücklich machen.
Die restlichen 0,4 Prozent meiner Du-Kommunikation entfallen auf nächtliche Selbstgespräche und 0,1 Prozent auf pöbelnde Partytouristen auf der Warschauer Brücke, denen ich „Halt die Fresse, du Pleppo!“ hinterherplärre und weiß, dass die Situation leider mal wieder nicht eskalieren wird.
Ob wir nicht gerade zusammen einen Film gucken, will mein Freund vorwurfsvoll wissen und ich kann es ihm noch nicht einmal übel nehmen, aufrichtig von mir und meiner Persönlichkeit enttäuscht zu sein. Ich sage “Ich gucke doch trotzdem den Film, obwohl ich mit meinem Unsmartphone fummel!”. Knallhart gelogen. Ich Fuchs. Ich Monster. Er weiß es, und ich weiß es. Ich bin eine lügende und betrügende Bestie, die ihre Aufmerksamkeit wie eine Hure an den nächstbesten verschenkt, der über ein beleuchtetes Display verfügt. Das Salz der Enttäuschung fällt schmerzhaft in die offenen Wunden zweier Menschen, die eigentlich nur auf dem Sofa einen schönen Film gucken wollten. Aber wir spüren das Salz nicht auf die gleiche Art und Weise, denn er ist hier auf dem Sofa, und ich bin im Internet. Meine Wunde klafft nur online offen, doch seine blutet gerade das schöne Sofa voll. Und dabei hatten wir extra die Fenster mit der Katzenwolldecke verhangen, um das Licht in seine Schranken zu verweisen und endlich den
A-Team
Film zu gucken und danach noch etwas angegeilten und hemmungslosen Sex zu haben, bei dem ich die Socken anlassen darf und es irgendwie nach Sammelumkleidekabine riecht. Alles umsonst.
“Doch klar kann ich!“ Wieder eine Lüge. Ich verstecke das Unsmartphone hinter meinen Schenkeln im toten Winkel seiner Augen. Dort lese und tippe ich buckelig und immer in sorgsamer Vorsicht, dass er mich nicht auf frischer Tat beim Lesen und Nichtaufpassen erwischt, emsig weiter. Der Film läuft ebenfalls rücksichtslos weiter. In mir herrscht brüllende Angst, dass meinem Freund die Lüge nicht nur bewusst ist, sondern dass er das Schlimmste machen könnte, was man einem Lügner antun kann: Die Lüge auszusprechen! Wer einen Lügner liebt, der spielt einfach mit. Immer das gleiche Spiel. Die Macken des anderen nicht ansprechen und das wundersame Problemlösungskonzept der Verdrängung sind vollkommen unterschätzte Prinzipien glücklicher Beziehungen.
Gleich fragt er mich bestimmt ob ich dies oder jenes in dem Film auch sexistisch finde oder was auch immer. Und ja, das finde ich auch, aber ich kann nicht antworten, denn ich habe nichts mitbekommen. Meistens sage ich dann “Ja!” und damit kommt man immer ganz gut durchs Leben.
Manchmal, wenn ich vor ihm wach werde, liege ich stundenlang still im Bett und lese und schreibe
Tweets
und er liegt dann neben mir und schläft wie ein regulärer Mensch, weil er so etwas nicht macht und normal funktionieren kann. Er verfügt über die Fähigkeit müde zu sein und einfach so zu schlafen und zur Ruhe zu kommen, obwohl draußen vielleicht gerade die Welt passiert und ich wundere mich wie das funktioniert. Die Schlaflosigkeit gehört zu mir seit ich denken kann.
Wenn ich als Kind nicht mehr weiterschlafen konnte, habe ich mich leise über die knarrenden Dielen, vorbei an der Schlafzimmertür meiner ahnungslos schlafenden Eltern, in die Küche geschlichen, um dort den Backofen auf hundertachtzig Grad Ober- und Unterhitze vorzuheizen und meine Füße so lange auf den Rost in den offenen Ofen gelegt, bis es mir zu warm wurde. Oft hat das lange gedauert und das mit der kaputten Umwelt, das war alles ich - also meine Psyche. Sorry dafür, aber irgendwie hat es mich beruhigt und müde gemacht, die Füße im warmen Ofen ruhen zu haben.
Im Alter von vierzehn Jahren entdeckte ich dann ein energieeffizienteres Mittel um mich auszuschalten: Mozzarellasticks mit Red-Pepper-Dip vom Discounter. Tiefgekühlter kulinarischer Irrsinn für drei gut investierte Euro, der
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