DACKELKRIEG - Rouladen und Rap
Alter von sieben bis neun Jahren. Danach änderte sich deren Konsumverhalten allerdings und die Kinder bekamen meist mehr Taschengeld als ich verdiente und wenn nicht, dann taten sie mir wirklich leid.
Als Kind tätigte ich regelrechte Diebeszüge durch die Geschäfte der Kleinstadt, in der ich aufwuchs. Ich klaute Holzspielzeug aus dem bescheuerten Öko-Kinderladen, nur um es danach wutentbrannt in eine Mülltonne zu werfen, weil mich sowohl das Geschäft, als auch das Selbstverständnis, der Gesamterscheinung dieser in dunkelgrünen Leinenhosen gekleideten Ladenbesitzerin, mit ihren Hennahaaren und dem blöden Pseudo-Mittelalter-Rock aus lila Samt, derart provozierten, dass ich mich außer Kraft gesetzt fühlte, meine Rebellion irgendwie im Zaum zu halten. Fuck the system! Ich habe garantiert nicht jahrelang
1,2 oder 3
geguckt, nur um tatenlos zusehen zu müssen, dass Frauen wie diese ihre Kinder zu Monstern erzogen, die dann im Wunschbasar nicht das Elektronikspielzeug wählten, sondern ein
Jenga-Spiel
und ein Drachen-Bauset aus Echtholz mit Bienenwachspolitur. Dabei spielten im Mindset dieser Kinder zwei Komponenten eine ausschlaggebende Rolle: Die Kinder glaubten dieses Spielzeug wirklich haben zu wollen, was ich soweit noch nachvollziehen konnte, wenn man jahrelang von einer Frau großgezogen wurde, die Wäsche mit Kernseife reinigte und wusste was eine Waschnuss ist. Andererseits entstand eine Art gefühlte Elite. Man wählte nicht nur sein langweiliges
Rudolf Steiner
-Spielzeug im Basar und fühlte, warum man es tat, sondern man wollte auch noch die anderen Kinder davon überzeugen, dass dieses Spielzeug das einzig geile Spielzeug war und alle anderen Entscheidungen unvernünftig waren. Diese Kinder konnten sogar rational diskutieren, und das war ohne Frage so verdammt verachtenswert.
Ich zog auch gerne durch die Zimmer der anderen Familienmitglieder und stahl Geld, das auf der Stelle in Zigaretten und Musikmagazine investiert wurde. Es muss im Jahr 1995 gewesen sein, damals war ich noch Grundschülerin mit Pferdeschwanz, abgetragenen Hosen meines älteren Bruders und Neonpullovern, die man auf beiden Seiten tragen konnte. Ich klaute in dieser Zeit gerne Kuchen auf dem Ski-Basar in der Hachenburger Realschul-Aula. Mal war es nur ein bescheidenes Stück Schokoladenkuchen ohne Glasur, mal stopfte ich mir aus reiner Gehässigkeit eine gesamte Nuss-Marzipan-Torte in meinen kleinen Rucksack. Hunger hatte ich eigentlich nicht, denn ich ernährte mich zu diesem Zeitpunkt ausschließlich von Cornflakes, die für uns Kinder zu Hause immer massenhaft zur Verfügung standen. Wir hatten eine garantiere Cornflakes- und Joghurt-Flatrate. Heute heißen die Teile "Cerealien" und sind eigentlich immer noch genauso scheiße ungesund wie damals. Zuckergift für Kinder mit lustigen Tieren auf der Packung. Ich sehe genau die Werber vor mir. Beide fett.
„Lass uns doch mit einem sprechenden Tier werben!“ „Ok!“ „Wird ein Knaller!“ „Ja!“
Und jetzt sind beide stinkreich. Geniale Idee. Mit Tieren werben. Muss man erst einmal drauf kommen, dass Kinder so etwas mögen könnten. Nur die Kinder von damals, die so etwas dann auch mochten, sind leider wirklich alle wegen diesen Werbern fett geworden und weil sie von der unendlichen Geilheit des Geschmacks von
Smacks
oder dem gottverdammten
Frosties Tiger
zur Fettsucht verführt worden sind. Dazu noch Milch mit vollem Fettgehalt? Wieso nicht gleich Sahne ins Müsli kippen? Dabei lauerte der eigentliche Tod doch schon immer in
Nougat Bits
, das wusste jeder mit einem Grundbausatz Gehirnzellen. Schon eine Handvoll
Nougat Bits
erhöhte das Diabetesrisiko um 80000 Prozent und man munkelte schon länger hinter vorgehaltener Hand, dass den
Nougat Bits
Packungen der 90er Jahren Socken mit Diabetesbündchen als kleines Gimmick beilagen.
Ich lernte also stehlen und verhielt mich bisweilen "antisozial", wie Experten die Lage heute beurteilen würden. Den verantwortungsvollen Umgang mit Geld habe ich zwar nie erlernt, aber ich wusste immer wie ich welches beschaffen konnte. Wenn ich heute durch einen größeren Auftrag zu Geld komme, dann horte ich es emsig auf meinem schmalen Konto, wie ein Nagetier mit Buchhalter-Ausbildung, und traue mich nicht etwas davon auszugeben. Ich fürchte mich regelrecht davor mir etwas zu gönnen. Bevor ich mich dieses Jahr traute einen Flug nach San Francisco zu buchen, habe ich nächtelang wach gelegen und mir die schlimmsten Schreckensszenarien
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