DACKELKRIEG - Rouladen und Rap
vorgestellt, in denen ich durch Spaß und Belohnung zugrunde gehen könnte. In einem unachtsamen Moment habe ich dann aber doch zugeschlagen, den Flug einfach gebucht und bin wider Erwarten nicht in der Gosse gelandet. Das muss alles ein großer Zufall gewesen sein und eine gehörige Portion unverdientes Glück gehörte wohl auch dazu. Die Welt ist ungerecht.
Dabei war dieses Nehmen und Verschwenden damals doch so verdammt einfach: Mit der besten Freundin in das Kaufhaus marschieren, ein
Tamagotchi
in die große Außentasche des Anoraks schieben und schnell wieder raus. Kein Warenhausdetektiv konnte mich je aufhalten. Ich war geschickter als ein Wiesel auf Speed und meine Tarnung als Grundschulkind war einfach zu perfekt. Ich hatte innerhalb kürzester Zeit eine imposante Sammlung japanischen Technikschrott angehäuft, den ich fortan ständig virtuell füttern musste. Jedes coole Kind brauchte über zehn
Tamagotchis
und ich bin mir nicht sicher, ob es damals wirklich Kinder gab, die dumm genug waren, die Teile nicht zu stehlen, sondern aufrichtig Geld für diese Absurdität ausgaben, die sie nicht nur abhängig und süchtig machte, sondern ihnen auch die wenige Freiheit neben dem Klavierunterricht und den Reitstunden stahl. Damals nannte man Winterjacken Anorak und
Helmut Kohl
war der König unseres geweihten Landes. Heute stehlen die Kinder nicht mehr und das ist schade.
In Berlin angekommen, musste ich mir einen praktikableren Weg ausdenken, um zu überleben. Aber wie? Und was bedeutet das überhaupt: Überleben?
Sascha Lobo
kannten wir damals noch nicht und jemand hatte die nächste große Idee: SEO-Texte. Kurz: Das Internet mit fiesen Verlinkungen und Fakeblogs zerstören, um bestimmte Anbieter in den Suchmaschinenergebnissen bei
Google
weiter oben erscheinen zu lassen. Das Netz aus einem fiesen Hinterhalt ficken. Sich für Zerstörung und Lügen bezahlen lassen. Und das ist schlimmer als Stehlen. Es klebt so viel Schmutz in der SEO-Branche, und ich habe heute immer das Gefühl einfach zu viel zu wissen.
Ich habe also angefangen reichlich Kaffee zu konsumieren und noch mehr Kette zu rauchen, als ich es ohnehin schon tat. Meine Mitbewohnerin machte den stärksten Kaffee der Welt. Filterkaffee, direkt aus der Filterkaffeehölle. Stark, bitter und antreibend. Bei dieser Art Auftrag wurde pro Wort bezahlt. Ein Text mit etwa vierhundertfünzig Worten brachte in der Regel zwischen fünf und zehn Euro. Wenn man schnell genug schreiben konnte, wie ich, und sich nicht recht im Klaren war, was man da überhaupt genau tat, dann war das ein netter Verdienst für eine Studentin ohne Moralempfinden und Zukunft. Wir konnten uns plötzlich eine eigene Putzfrau und Urlaub in einem Skiressort leisten. Im Schrank hingen Nerze. Nicht die Mäntel, sondern tote Nerze. Wir trugen goldene Ketten mit Dollarzeichen und teilweise drei oder vier Grillz übereinander. Wir sahen aus wie der Eisenbeißer aus
James Bond
, bloß furchterregender. Die Aura von Erfolg umgab uns wie gutes Parfüm. Wir eigneten uns allerhand Pick-Up-Tricks an und begannen im Kiez männliche Hipster aufzureißen, die uns aber nie daheim besuchen durften, denn wir waren nicht nur erfolgreich, sondern immer auch geheimnisvoll. Das Eine kann ohne das Andere nicht existieren. Vielleicht war es auch nur eine manische Phase, an deren Ende ich ziemlich abstürzen sollte und jeden Abend nur noch Pizza mit Sauce Hollandaise und
Pizza-Tunk
bestellte, Unmengen stark gesüßten Tschunk in mich reinkippte, das Internet im Suff vollspamte und meinen
Twitteraccount
zu dem machte, was er heute ist. Ich habe das Netz zerstört, um es danach wieder aufzuhübschen und damit wieder einmal mein Spielzeug zerstört. Aber ich konnte ADHS nicht für alles verantwortlich machen. Diese Erkenntnis kam dann erst etwas später. Was darauf folgte, war grenzenlose Übelkeit und der Entschluss, sich nie wieder für etwas zu verkaufen, sondern notfalls lieber einfach nicht mehr zu überleben.
Die
Golden Toast
Packung liegt so kurz vor Weihnachten besonders schwer in der Hand. Die schwelenden Depressionen und Gedankenstürme haben den Körper zum Jahresende hin noch einmal exponentiell stark ermüden lassen. Die Muskelspannung ist raus und wir sind nur noch sackige Konsumenten, die in ihrem Wunsch nach Frieden die merkwürdigsten Dinge anstellen.
In meiner Wohnung ruhte seit etwa Ende September ein genauer Plan auf dem spärlichen Holztisch, auf dem ich sorgfältig mit verschiedenfarbigen
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