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Daddy Langbein

Daddy Langbein

Titel: Daddy Langbein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
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Dir das Eßzimmer des John-Grier-Heims vor mit den wachstuchbedeckten Tischen und dem weißen Geschirr, das mit aller Gewalt nicht zerbricht, und Messern und Gabeln mit Holzgriffen; und dann denke Dir aus, wie ich mich fühlte.
    Ich aß meinen Fisch mit der falschen Gabel, aber der Kellner gab mir freundlicherweise eine andere; so merkte es niemand.
    Und nach dem Mittagessen gingen wir ins Theater — es war überwältigend, wunderbar, unglaublich — ich träume jede Nacht davon.
    Ist Shakespeare nicht großartig?
    „Hamlet“ ist auf der Bühne so viel besser, als wenn wir ihn in der -Klasse analysieren; ich habe ihn schon vorher gewürdigt, aber jetzt, du lieber Gott!
    Ich glaube, wenn Du nichts dagegen hast, daß ich lieber eine Schauspielerin wäre als ein Schriftsteiler. Willst Du nicht, daß ich das College verlasse und in eine Schauspielschule gehe? Und dann schicke ich Dir für alle meine Aufführungen eine Loge und lächle Dich über das Rampenlicht hinweg an. Nur mußt Du, bitte, eine rote Rose im Knopfloch tragen, damit ich bestimmt den richtigen Mann anlächle. Es wäre furchtbar peinlich, wenn das Lächeln den falschen Mann träfe.
    Wir kamen Samstag nacht nach Hause und aßen im Zuge zu Abend an kleinen Tischen mit rosa Lampen und Negerkellnern. Ich hatte nie gewußt, daß in Zügen Essen serviert wird, und unversehens rutschte mir das heraus.
    „Wo in aller Welt bist Du aufgewachsen?“ fragte Julia mich.
    „In einem Dorf“, sagte ich bescheiden zu Julia.
    „Aber bist du nie gereist?“ fragte sie mich.
    „Nicht bevor ich ins College kam, und dann waren es nur hundertsechzig Meilen, und wir haben nicht gegessen“, sagte ich zu ihr.
    Sie beginnt, mich interessant zu finden, weil ich so komische Sachen sage. Ich gebe mir alle Mühe, es nicht zu tun, aber sie platzen einfach heraus, wenn ich überrascht bin, und ich bin fast die ganze Zeit überrascht. Es ist ein schwindelerregendes Erlebnis, Daddy, achtzehn Jahre im John-Grier-Heim zu verbringen und dann plötzlich in die Welt getaucht zu werden.
    Aber ich gewöhne mich daran. Ich mache nicht mehr so fürchterliche Fehler wie am Anfang. Und ich fühle mich zwischen den anderen Mädchen nicht mehr fehl am Platz. Früher wurde ich schon unruhig, wenn jemand mich nur ansah. Ich meinte, sie müßten durch die vorgetäuschten neuen Kleider hindurch den karierten Kattun darunter sehen. Aber jetzt lasse ich mich vom Kattun nicht mehr beunruhigen.
    Ich vergaß, von unseren Blumen zu erzählen. Master Jervie gab jeder von uns einen großen Strauß Veilchen und Maiglöckchen. War das nicht reizend von ihm? Ich habe mir nie viel aus Männern gemacht — nach Aufsichtsräten zu urteilen — aber ich ändere meine Meinung.
    Elf Seiten — das ist einmal ein Brief! Nur Mut! Ich höre schon auf.
    Immer Deine
    Judy.

10. April.

    Lieber Herr Reicher Mann!

    Hier ist der Scheck von 50 Dollar zurück. Vielen Dank, aber ich kann ihn nicht behalten. Mein Taschengeld reicht, um mir alle Hüte zu leisten, die ich brauche. Es tut mir leid, daß ich das ganze dumme Zeug über den Hutladen schrieb; es kam nur daher, daß ich noch nie etwas Derartiges gesehen hatte.
    Aber betteln wollte ich nicht! Und ich möchte lieber nicht mehr Wohltaten annehmen, als ich muß.

    Mit besten Grüßen
    Jerusha Abbott.

11. April.

    Liebster Daddy!

    Willst Du mir, bitte, den Brief verzeihen, den ich gestern schrieb? Nachdem ich ihn eingeworfen hatte, tat es mir leid, und ich versuchte, ihn zurückzubekommen, aber der widerliche Postbeamte gab ihn mir nicht.
    Es ist jetzt Mitternacht. Ich bin stundenlang wach gelegen und habe daran gedacht, was für ein Wurm ich bin — was für ein Tausendfüßlerwurm
    — und das ist das schlimmste, was ich sagen kann! Ich habe die Tür ins Studierzimmer sehr leise zugemacht, damit Julia und Sallie nicht aufwachen, und ich sitze im Bett und schreibe Dir auf Papier, das ich aus meinem Geschichtskollegheft herausriß.
    Ich möchte Dir nur sagen, daß es mir leid tut, daß ich in bezug auf Deinen Scheck so unhöflich war. Ich weiß, daß Du es gut gemeint hast, und ich finde, Du bist rührend, daß Du Dir wegen einer so törichten Sache wie einem Hut so viel Mühe machst. Ich hätte ihn viel liebenswürdiger ablehnen müssen.
    Aber ablehnen mußte ich ihn auf alle Fälle. Bei mir ist es anders als mit den anderen Mädchen. Sie können ganz natürlich Geschenke annehmen. Sie haben Väter und" Brüder und Tanten und Onkel; aber ich habe zu niemand eine

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