Daddy Langbein
ein Gefühl der Sicherheit und Beruhigung, das in der Chemie völlig abgeht.
Es läutet zur sechsten Stunde. Ich muß ins Laboratorium gehen und eine kleine Frage von Säuren, Salzen und Laugen (Alkalis) aufklären. Ich habe ins Vorderteil meiner Chemieschürze mit Hydrochloridsäure ein tellergroßes Loch gebrannt. Wenn die Theorie stimmt, müßte es möglich sein, dieses Loch mit gutem, starkem Ammoniak zu neutralisieren, nicht wahr?
Nächste Woche Prüfungen. Aber wer hat Angst?
Immer Deine
Judy.
5. März.
Lieber Daddy-Langbein!
Ein Märzwind bläst, und der Himmel ist voll schwerer schwarzer dahinziehender Wolken. Die Krähen in den Fichten machen einen solchen Lärm! Es ist ein berauschender, erhebender, ein rufender Lärm. Man möchte seine Bücher zumachen und über die Hügel mit dem Wind um die Wette laufen.
Wir machten letzten Samstag eine Schnitzeljagd über ein sumpfiges Gelände von fünf Meilen. Der Fuchs (bestehend aus drei Mädchen und einem Sack Konfetti) startete eine halbe Stunde vor den 27 Jägern. Ich war eine der siebenundzwanzig; acht blieben am Weg liegen, zum Schluß waren wir noch neunzehn. Die Spur führte über einen Hügel, durch ein Maisfeld, und in einen Sumpf, wo wir leichtfüßig von einem festen Klumpen zum nächsten springen mußten. Natürlich versank die Hälfte von uns bis über die Knöchel. Wir verloren immer wieder die Spur, und wir verschwendeten fünfundzwanzig Minuten an diesen Sumpf. Dann ging es bergauf durch ein Wäldchen und zu einem Scheunenfenster hinein. Die Scheunentüren waren alle verschlossen, und das Fenster war hoch oben und ziemlich klein. Das nenne ich nicht fair, oder Du?
Aber wir sind nicht eingestiegen. Wir umschifften die Scheune und fanden die Spur wieder da, wo sie über ein niederes Schuppendach über einem Zaun wieder herauskam. Der Fuchs glaubte, hier habe er uns fest, aber wir überlisteten ihn. Dann ging es zwei Meilen geradeaus über wellige Wiesen und war sehr schwer zu verfolgen, denn das Konfetti wurde immer spärlicher. An sich darf es höchstens sechs Fuß (zwei Meter) auseinanderliegen, aber das waren die längsten sechs Fuß, die ich je gesehen habe. Schließlich, nach zwei Stunden unausgesetzten Laufens, verfolgten wir Monsieur Fuchs in die Küche der Kristall-Quelle (das ist eine Farm, wohin die Mädchen in Bobschlitten und Heuwagen zum Hühner- und Waffelessen kommen), und wir fanden die drei Füchse friedlich bei Milch und Honig und Biskuits. Sie hatten nicht erwartet, daß wir so weit kommen würden; sie hatten angenommen, wir würden im Scheunenfenster steckenbleiben.
Beide Seiten bestehen darauf, gewonnen zu haben. Ich bin der Meinung, daß wir gewonnen haben; Du auch? Denn wir fingen sie, bevor sie wieder im Campus waren. Jedenfalls ließen wir neunzehn uns wie Heuschrecken auf den Möbeln nieder und schrien nach Honig. Es gab nicht genug für alle, aber Frau Kristallquelle (das ist unser Spitzname für sie; in Wirklichkeit ist sie eine Johnson) brachte einen Topf Erdbeermarmelade und einen Krug Ahornsirup — frisch gemachten — und drei Laib Schwarzbrot.
Wir sind erst um ½ 7 Uhr ins College zurückgekommen — eine halbe Stunde zu spät zum Essen — und wir gingen ohne uns umzuziehen und mit völlig unvermindertem Appetit hinein.
Dann schwänzten wir alle die Abendandacht; der Zustand unserer Stiefel war Entschuldigung genug.
Ich habe nie über die Prüfungen berichtet. Ich habe alles mit größter Leichtigkeit bestanden — ich kenne jetzt das Geheimnis und werde nie mehr durchfallen. Ich werde aber meinen Abschluß nicht mit Auszeichnung machen können, wegen der gemeinen lateinischen Prosa und Geometrie im Freshmanjahr. Aber es ist mir einerlei. Wot’s the hodds so long as you’re ’appy? 6 ). (Das ist ein Zitat. Ich lese die englischen Klassiker.)
Apropos Klassiker, — hast Du je den „Hamlet“ gelesen? Wenn nicht, mußt Du es sofort tun. Er ist einfach prima. Ich habe mein ganzes Leben lang von Shakespeare gehört, aber ich hatte keine Ahnung, daß er so gut schreibt; ich hatte immer den Verdacht, daß er großenteils von seinem Ruhm lebt.
Ich habe ein wunderschönes Spiel, das ich mir ausdachte, als ich anfing lesen zu lernen. Ich schlafe jeden Abend ein, indem ich mir vorstelle, daß ich die Person (die wichtigste Person) des Buches bin, das ich gerade lese.
Gegenwärtig bin ich Ophelia — und solch eine vernünftige Ophelia. Ich unterhalte Hamlet die ganze Zeit und bin lieb mit ihm und schimpfe
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