Daddy Langbein
ihn und lasse ihn seinen Hals einwickeln, wenn er erkältet ist. Ich habe ihn schon ganz von seiner Melancholie kuriert. Der König und die Königin sind beide tot — ein Schiffsunglück, kein Begräbnis notwendig — und so regieren Hamlet und ich ohne Ärger in Dänemark. Wir haben das Königreich in schönster Ordnung. Er kümmert sich um das Regieren, ich um die Wohltätigkeit. Ich habe gerade ein paar erstklassige Waisenhäuser gegründet. Wenn Du oder einer der anderen Aufsichtsräte sie gern besuchen würdet, würde ich Euch mit Vergnügen herumführen. Ich glaube, Ihr könntet viele nützliche Anregungen gewinnen.
Ich verbleibe, Herr,
aufs allergnädigste Eure
Ophelia
Königin von Dänemark.
24. März,
vielleicht auch der 25.
Lieber Daddy-Langbein!
Ich glaube nicht, daß ich in den Himmel komme
— ich bekomme hier schon so viele gute Dinge; es wäre nicht fair, sie im Jenseits auch noch zu bekommen. Höre, was sich ereignete.
Jerusha Abbott hat das Kurzgeschichten-Ausschreiben gewonnen (ein Preis von 25 Dollar), das „Der Monat“ alljährlich hält. Und sie, ein Sophomore! Die Bewerber sind meistens Senioren. Als ich meinen Namen angeschlagen sah, konnte ich es kaum glauben. Vielleicht werde ich doch ein Autor. Ich wollte, Mrs. Lippett hätte mir nicht einen so dummen Namen gegeben — er klingt so nach Gartenlaubeschriftstellerin, nicht wahr?
Außerdem wurde ich für die Frühjahrsaufführung gewählt — „Wie es Euch gefällt“ im Freien. Ich werde Celia spielen, direkte Cousine von Rosalinde.
Und schließlich: Julia und Sallie und ich gehen am Freitag nach New York, um Frühjahrseinkäufe zu machen und die Nacht über zu bleiben und am anderen Tag mit „Master Jervie“ ins Theater zu gehen. Er hat uns eingeladen. Julia wird zu Hause bei ihrer Familie wohnen, aber Sallie und ich werden im Martha-Washington-Hotel übernachten. Hast Du je so etwas Aufregendes gehört? Ich war noch nie in meinem Leben in einem Hotel, auch in keinem Theater; außer einmal als die katholische Kirche ein Fest hatte und die Waisen einlud, aber das war kein echtes Stück, und es zählt nicht.
Und was glaubst Du, daß wir sehen werden? „Hamlet“. Stell Dir vor! Wir haben ihn vier Wochen lang im Shakespeare-Seminar studiert, und ich kann ihn auswendig.
Ich bin über alle diese Aussichten so aufgeregt, daß ich kaum schlafen kann.
Adieu, Daddy.
Dies ist eine sehr amüsante Welt.
Immer Deine
Judy.
P.S. Ich habe eben den Kalender angeschaut. Es ist der 288
Noch ein Postskriptum.
Ich sah heure einen Trambahnschaffner mit einem braunen und einem, blauen Auge. Würde er nicht einen schönen Bösewicht für eine Detektivgeschichte abgegeb?
7. April.
Lieber Daddy-Langbein!
Donnerwetter! Ist New York aber groß! Worcester ist gar nichts dagegen. Willst Du mir sagen, daß Du tatsächlich in dem Wirrwarr lebst? Ich glaube, ich werde Monate brauchen, um mich vom Eindruck von nur zwei Tagen zu erholen. Ich kann Dir gar nicht alle die erstaunlichen Dinge beschreiben, die ich gesehen habe. Aber ich nehme an, Du kennst sie, da Du ja da wohnst.
Aber sind die Straßen nicht interessant? Und die Leute? Und die Läden? Ich habe noch nie so schöne Sachen gesehen wie in den Schaufenstern. Man möchte den Rest des Lebens dem Tragen von Kleidern widmen.
Sallie und Julia und ich sind Samstag früh zusammen einkaufen gegangen. Julia ging in das prächtigste Haus, das ich je gesehen habe, weiß und goldene Wände und blaue Teppiche und blauseidene Vorhänge und vergoldete Stühle. Eine ganz wunderschöne Dame mit gelbem Haar und einem langen schwarzseidenen schleppenden Kleid kam uns mit einem willkommnenden Lächeln entgegen. Ich glaubte, wir machen einen gesellschaftlichen Besuch, und wollte schon die Hand geben, aber es scheint, daß wir nur Hüte kauften — oder wenigstens Julia kaufte. Sie setzte sich vor einen Spiegel und probierte ein Dutzend an, einer schöner als der andere, und kaufte die beiden allerschönsten.
Ich kann mir keine größere Freude im Leben vorstellen, als vor einen großen Spiegel hinzusitzen und jeden Hut, der einem gefällt, zu kaufen, ohne vorher an den Preis zu denken! Es besteht kein Zweifel, Daddy: New York würde rasch diesen vortrefflichen stoischen Charakter untergraben, den das John-Grier-Heim so geduldig aufgebaut hat.
Und nachdem wir mit dem Einkäufen fertig waren, trafen wir Master Jervie bei Sherry. Ich nehme an, daß Du Sherry kennst? Stell es Dir vor, und dann stell
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