Dämenkind 2 - Kind der Götter
Schatten der Treppe trat. Ihr Blick schweifte umher, und sobald sie die erstaunten, aber auch verstörten Mienen sah, mit denen die übrigen Anwesenden wie gebannt an ihrem Platz verharrten, lachte sie. »Ihr solltet einmal eure Gesichter sehen.«
»Menschen sind einfach allzu leicht aus der Ruhe zu bringen«, bemerkte die Wahnwitzige und sprach diesmal mit einer Männerstimme, die viel tiefer als die Stimme klang, mit der sie eben noch geredet hatte.
Mikel konnte nichts anderes mehr denken, als dass er mit Haut und Haaren in eine heidnische Hölle verschlagen worden war, zumal die Erscheinung der Wahnsin
nigen nun ein zweites Mal ins Wallen geriet und zu Mikels schauderhaftestem Entsetzen buchstäblich zerfiel. Plötzlich wimmelte es im Saal von kleinen grauen Wesen, Geschöpfen der Art, von der ein Vieh ihn am Brunnen in die Hand gebissen hatte. Mit schrillen Zwitscherstimmchen brachen die Lebewesen in Gelächter aus, als hätten sie sich einen besonders scherzhaften Ulk ausgedacht. All das war mehr, als Mikel verkraften konnte. Während die grauhäutigen Kobolde munter umherschwärmten, entfuhr ihm ein lauter Entsetzensschrei.
Sein Geheul schreckte den Kriegsrat aus seiner Entgeisterung. Mit einem Mal redeten alle durcheinander, sodass Mikel kein Wort mehr verstand. Er bemühte sich auch gar nicht darum. Er hörte jemanden schluchzen, jedoch verstrichen etliche Augenblicke, bis er merkte, dass er selbst es war. R'shiel kam zu ihm und schob die abscheulichen Kobolde ungeduldig beiseite. Aber auch vor ihr schrak er voller Grausen zurück.
»Es tut mir Leid, Mikel, ich wollte dich beileibe nicht erschrecken. Das sind Dämonen, sonst nichts, sie fügen dir nichts Übles zu.« Ungnädig wandte sie den Kopf. »Ihr erschreckt den bedauernswerten Jungen ja zu Tode. Schert euch fort!«
Fast augenblicklich verschwanden die Dämonen, und die Plötzlichkeit ihres Enteilens verwirrte die Mitglieder des Kriegsrats beinahe ebenso sehr wie Mikel. »Der Al lerhöchste beschirmt mich« , sang er halblaut, während ihm die Tränen übers Gesicht liefen, »der Allerhöchste be schützt mich, der Allerhöchste behütet mich …«
»Lasst den Jungen unsere Nachricht den Kariern übermitteln, Hochmeister Jenga«, bat R'shiel den medalonischen Oberbefehlshaber. »Schickt ihn heim. Hier hat er nichts verloren.«
Unsicher heftete Hochmeister Jenga den Blick auf Brakandaran. »Ihr habt selbst gesagt, er wird alles erzählen, was er erlebt hat. Wollt Ihr denn in der Tat, dass er alles beschreibt, was er am heutigen Abend bei uns gesehen hat?«
Brakandaran zuckte mit den Schultern. »Die karischen Priester werden ohnehin bald merken, dass wir da sind. Mag sein, dann nehmen sie sich die Zeit zum Nachdenken.«
»Oder sie schenken ihm keinen Glauben«, meinte Obrist Warner. »Ich selbst kann kaum glauben, was ich gerade gesehen habe.«
Die Kriegsräte tauschten vielsagende Blicke aus, ehe Hochmeister Jenga schließlich Mikel ins Augenmerk fasste. »Hör her, Bursche, geh deine Habseligkeiten packen! In der Morgenfrühe ziehst du sofort deines Weges. Du wirst Kronprinz Cratyn unseren Friedensvorschlag überbringen, verstanden?«
Mikel nickte. Dieses Mal drohten nicht Tränen des Bangens, sondern der Freude ihn zu übermannen. »Und … mein Bruder?«, wagte er zaghaft zu fragen.
»Er bleibt«, gab der hythrische Kriegsherr zur Antwort, bevor irgendeiner der übrigen Beteiligten etwas sagen konnte. »Er ist unsere Gewähr für dein vorbildliches Betragen. Wenn dein Kronprinz auf unser Ansinnen eingeht, entlassen wir auch deinen Bruder in die Heimat.«
Auf einen anderen Bescheid zu hoffen, war wohl schlichtweg zu hoch gegriffen gewesen; dennoch fragte sich Mikel, ob das Ergebnis, hätte er gewartet und sich an Meisterin R'shiel allein gewandt, gegenteilig ausgefallen wäre. Nun jedoch war es zu spät.
Mikel nickte nochmals, und R'shiel lächelte ihm zu, als wollte sie ihm Mut einflößen. Er durfte heimkehren! Endlich hatte der Allerhöchste seine Gebete erhört. Zumindest einige. Noch vor dem morgigen Abend sollte er vor dem Kronprinzen und seinen Geistlichen stehen und konnte ihnen zu guter Letzt berichten, was sich südlich der Grenze, im Feldlager des Hüter-Heers, an Bösem eingenistet hatte.
24
IN ALLER MORGENFRÜHE schickte man Mikel auf einem wenig ansehnlichen, gelbbraunen Wallach hinüber zum karischen Heerlager. Hauptmann Tenragan und Kriegsherr Wulfskling begleiteten ihn bis zu den Schanzen, die man längs der Grenze
Weitere Kostenlose Bücher