Dämenkind 2 - Kind der Götter
seine Erkenntnisse über die Kriegsvorbereitungen der Medaloner weiterzugeben. Es verstimmte ihn ungemein, dass Tenragan es gewesen war, der ihn darauf hingewiesen hatte.
Noch ungefähr eine halbe Landmeile trennte ihn vom karischen Heerlager, als vorgeschobene Späher ihn entdeckten. Der Anblick des Banners von Herzog Laetho – drei hohe, grüne Kiefern auf rotem Grund – trieb ihm Tränen der Erleichterung in die Augen, aber er wischte sie hastig fort, als die Späher nahten. Wahrhaftig, der Allerhöchste erwies ihm seine huldvolle Gnade, daran sah Mikel nun keinen Anlass zum Zweifeln mehr. Nicht allein hatte er die Freiheit wiedergewonnen, zudem waren es Landsleute aus Kirchland, die ihn bei der Rückkehr empfingen.
Ihm schwindelte vor lauter Hochgefühl, als der baumlange Ordensritter, der sein Ross auf ihn zu lenkte, das Visier lüftete – es war Ritter Antony, Herzog Laethos Neffe, der erst im vergangenen Sommer zum Ritter geschlagen worden war und darauf gewaltig stolz war. Einige Augenblicke lang musterte Ritter Antony ihn, ehe er seinen Begleitern mit einem Wink befahl, die Schwerter zu senken.
»Ritter Antony«, rief Mikel und trieb ihm sein Reittier entgegen.
»Mikel, bist du's?«, fragte der Ritter voller Staunen. »Wir wähnten dich längst tot, Bursche.«
»Ich bin zurückgeschickt worden. Ich bringe ein Sendschreiben an den Kronprinzen.«
Antony schnitt eine abweisende Miene. »Für jemanden, der während der jüngsten Monate feindliche Gefangenschaft erlitten hat, siehst du recht wohlgenährt aus, mein Junge. Und du trägst den Waffenrock des Gegners.«
Mikel schaute an sich hinab und auf den zu großen, warmen Rock und das aufgerollte Beinkleid, die man ihm im medalonischen Heerlager aufgenötigt hatte. »Man hat mir die Gewandung abgenommen und sie verbrannt. Ihr müsst mich zum Kronprinzen bringen. Ich habe so vielerlei gesehen, Ritter Antony. Ich muss es ihm erzählen.«
Obgleich er von Mikels Worten keineswegs überzeugt wirkte, nickte der Ritter. »Wir wollen schauen, ob Herzog Laetho es als rätlich erachtet, dass du beim Kronprinzen vorsprichst. Folge mir!«
Ritter Antony wendete sein gewaltiges Schlachtross und ritt an Mikels Seite. Ein Söldner begab sich an Mikels andere Seite, und die zwei übrigen Krieger schlossen sich hinten an. So kam es, dass Mikel – gänzlich anders, als er es sich erträumt hatte – nicht im Triumph ins karische Heerlager zurückkehrte, sondern mehr oder weniger wie ein Gefangener.
»Sie bieten uns Frieden«, gab Kronprinz Cratyn bekannt und warf im Feldherrnzelt das Pergament, das Mikel ihm überbracht hatte, auf die lange Tafel. Die Glut rauchender Fackeln warf wüste Schatten an die Leinwandbahnen des Zeltinnern; ihr Qualm hatte zur Folge, dass Mikel die Augen tränten. Die aufgestellten Kohlenbecken erwärmten das geräumige Zelt nur unzulänglich.
»Sie bieten überhaupt nichts«, entgegnete Herzog Laetho und deutete geringschätzig auf das Schreiben. »Sie fordern uns auf, unsere Sachen zu packen und heimzukehren. Keinerlei Wiedergutmachung sagen sie uns zu; sie ersuchen nicht einmal um Vergebung für die Ermordung Ritter Pieters.«
Mikel war nicht des Lesens kundig, aber wäre er es gewesen, hätte es wenig gefruchtet, denn ihm war keine Gelegenheit gelassen worden, einen Blick auf das Schriftstück zu werfen, das er versiegelt abgeliefert hatte. Unwillkürlich überlegte er, ob Herzog Laetho das Schreiben eigentlich richtig deutete. Schwester Mahina hatte sich durchaus ernsthaft der Hoffnung hingegeben, es könnte zum Frieden führen.
»So hart wollte ich darüber nicht urteilen«, sagte Herzog Rollo Kraft von Morrus. »In einer Hinsicht jedoch habt Ihr Recht: Sie schlagen einen etwas hochnäsigen Ton an. Anscheinend bilden sich die Medaloner tatsächlich ein, sie könnten den Sieg davontragen.«
Mitten in der Nacht war der gesamte Kriegsrat zusammengerufen worden, um die Botschaft der medalonischen Heerführung zur Kenntnis zu erhalten. Den ganzen Tag hindurch war Mikel durch Herzog Laetho ausgefragt worden, und jetzt stand er beinahe unbeachtet nahe dem Zelteingang und kaute beklommen auf der Unterlippe. In seinen Wunschträumen war er im Angesicht des Kriegsrats nie unruhig oder ängstlich gewesen und hatte auch nicht gefroren.
Mikel schielte im Zelt umher, rieb sich die Augen und bot alle Mühe auf, um nicht zu gähnen. Seine Regungen fanden die Aufmerksamkeit des hoch gewachsenen fardohnjischen Hauptmanns, der ihm gegenüber auf der
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