Dämenkind 2 - Kind der Götter
Vor
Mikels Augen sauste es auf Meisterin R'shiel zu und hüpfte ihr auf die Arme.
Lächelnd fing sie das gruselige Geschöpf auf und wandte sich an Mikel. »Keine Bange, ich glaube, du hast ihr nicht weniger Schrecken eingejagt als sie dir.« Aus großen Augen starrte Mikel das kleine Vieh an. Was es war, wusste er nicht, aber es klammerte sich an Meisterin R'shiel, schnatterte mit schriller Stimme unverständliches Zeug und deutete, indem es ihn aus schwarzen Knopfaugen vorwurfsvoll anstierte, auf ihn, als wollte es bitterliche Anklage erheben. »O weh, du bist ja verletzt.«
Eilends scheuchte Meisterin R'shiel das sonderbare Lebewesen fort, und es verschwand buchstäblich mitten in der Luft. Mikel zeichnete sich, um Übles von sich abzuwenden, den Stern des Allerhöchsten auf die Stirn, während Meisterin R'shiel zu ihm kam und sich mit einem wohl als Ermutigung gedachten Lächeln an seine Seite kauerte. »Lass mich einmal schauen«, sagte sie. Wortlos hob er die schmerzende Hand, weil pure Angst es ihm unmöglich machte, irgendetwas anderes zu tun. Sie ergriff seine Finger – und nahezu augenblicklich verflog der Schmerz. Verblüfft zog Mikel die Hand zurück. Die Bisswunde war verschwunden und die Haut so glatt, als wäre sie nie verletzt worden.
Ein verstörter Schrei entrang sich Mikel.
Mit einem Wink wies R'shiel einen Wächter ab, der sich neugierig näherte, um nachzusehen, was die Aufregung zu bedeuten hatte. In der Hocke wartete sie, bis Mikel sich einigermaßen beruhigt hatte. Dann lächelte sie ihm erneut zu. »Fühlst du dich jetzt wohler?«
»Was … was habt Ihr mit mir gemacht?«, fragte Mi
kel. Hatte sie an ihm einen Zauber vollzogen? War er nun dazu verdammt, für alle Ewigkeit im Meer der Verzweiflung zu zappeln, weil sie ihn mit dem Einfluss böser Geister befleckt hatte? Bei dieser Aussicht spürte Mikel, wie ihn alle Kraft verließ. »Habt Ihr mich mit den üblen Kräften der Heidengötter befleckt?«
»Keine Sorge, mein Kleiner, es sind eben jene Kräfte, deren sich der ›Allerhöchste‹ bedient, also kannst du durch sie unmöglich bleibenden Schaden erleiden.«
Mikel wich vor ihr zurück. Gewiss, sie sah keinesfalls aus wie ein Ungeheuer, aber sie verstand Zauberei anzuwenden – und das kleine Geschöpf, das ihn gebissen hatte, augenscheinlich eine von bösartigen Mächten gezeugte Missgeburt, war zu ihr gelaufen, um Schutz zu suchen. Mag sein, sie ist wahrhaftig eine Harshini. Vielleicht hat sie unter der engen Lederkluft warzige Haut, die ab schuppt, sobald man sie anrührt, und jeden Rechtgläubigen mit Siechtum schlägt, gegen das es keine Abhilfe gibt, ihn zu einem Unhold entarten lässt, der allerorten Gräuel anrichtet, ihn verwandelt in ein …
»Du heißt Mikel, oder?« Nur mit Mühe konnte Mikel die scheußlichen Bilder verdrängen, die er vor Augen hatte. Er nickte, weil er befürchtete, dass sie ihn, wenn er keine Antwort gab, in einen Mistkäfer verzaubern würde. »Und dein Bruder, wo steckt er?«
Mikel kniff die Lider zusammen. Warum will sie das wissen? »Er ist bei den Hythriern«, sagte er verdrossen.
»Hier muss alles ziemlich erschreckend für dich sein, Mikel. Du befindest dich fern der Heimat und mitten unter Fremden. Ich weiß, wie jemandem in solcher Lage zumute ist.«
Auch wenn es ihn dahin trieb, sie von Herzen zu verabscheuen, merkte Mikel, dass sie die Wahrheit sprach. Sie verstand tatsächlich , wie er sich fühlte. Diese Feststellung flößte ihm neue Furcht ein. Hatte sie sein Gemüt mit weiterer Zauberei umgarnt? Für mich gibt es nur den Allerhöchsten , rief er sich in Erinnerung. Es erleichterte ihn, dass das Stoßgebet ihm keine Umstände verursachte. Noch hielt Xaphista über ihn seine Hand.
»Mich erschreckt gar nichts«, behauptete er trotzig.
Meisterin R'shiel lachte. »Man könnte es dir fast glauben. Bist du wieder wohlauf?«
Er nickte und ließ es zu, dass sie ihm beim Aufstehen half. Kaum dass sie die Hand von ihm nahm, packte er den leeren Kübel und rannte zum Hauptgebäude des Kastells, als hätten sich sämtliche Harshini-Dämonen an seine Fersen geheftet.
Mehrere Tage später veranstaltete die medalonische Heerführung ihre bedeutsamste Beratung, seit Mikel sich im Lager des Hüter-Heers aufhielt. All ihre wichtigen Oberen nahmen daran teil: Hauptmann Tenragan, Hochmeister Jenga, Schwester Mahina, Obrist Warner, Rebellenhäuptling Ghari, Kriegsherr Damin Wulfskling, der niederträchtige Reiterhauptmann Almodavar sowie
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