Dämenkind 2 - Kind der Götter
Ende sogar zu töten versucht hatte, gab es nicht mehr. Die äußerliche Erscheinung,
die man noch sehen konnte, war die Mühe des Hassens nicht Wert.
Dennoch mutete es R'shiel seltsam an, dass sie – nach all den Ereignissen der letzten Jahre und trotz alldem, was Frohinia ihr angetan hatte – den Einfluss ihrer Stiefmutter als nachhaltigste Prägung ihres Denkens gewahrte. Das wohltuende Wesen der Harshini hatte ihre Seele geheilt. Aber es war Frohinias rohe Rücksichtslosigkeit, die R'shiel zum Überdauern befähigte. Auf gewisse Weise sah sie darin einen ernsten Anlass zur Beunruhigung.
»Hast du nicht Kräfte zur Genüge?«, hielt Brakandaran ihr unwirsch entgegen. Zu tief war sie in ihre Überlegungen versunken gewesen, um seine Rückkehr zu bemerken. Sein Gesicht zeugte von Niedergeschlagenheit.
R'shiel zuckte die Achseln und musterte ihn. »Ich vermute, das sehen wir erst«, antwortete sie, »wenn ich Xaphista zum Endkampf gestellt habe und der Sieger feststeht.«
26
SCHWEIGSAM RITTEN SIE ZURÜCK zum Heerlager. Bis das ausgedehnte Lager in Sicht kam, hockte Dranymir auf R'shiels Sattelhorn, dann verschwand er. R'shiel schaute Brakandaran von der Seite an; seine Miene zeigte noch ebenso viel Missmut wie am Morgen, als sie den Ausritt begonnen hatten.
»Hör auf zu schmollen.«
»Sobald du ein Mindestmaß an Verstand an den Tag legst.«
»Wir müssen es wagen, Brakandaran. Hast du nicht beachtet, wie riesig das karische Heer ist? Wir brauchen jeden Hüter an der Nordgrenze. Mahina muss die höchste Führung übernehmen.«
Er schüttelte den Kopf, gab aber keine Antwort mehr.
Sobald sie die Pferche an der Südseite des Lagers erreichten, saßen sie ab und führten die Rösser an den Zügeln weiter. Die große Menge an Tieren erzeugte einen aufdringlichen, scharfen Geruch, und R'shiel fühlte die Gedanken, die Windtänzerin, ihrer Stute, in Gegenwart so vieler Artgenossen durch den Kopf spukten.
Zwei Hythrier kamen ihnen entgegen, während sie sich dem Pferch der aus Magie-Zucht entstammenden Pferde näherten, der in einiger Entfernung vom Pferch der gewöhnlichen Reittiere lag. R'shiel winkte ab, weil sie es vorzog, selbst dem Tier den Sattel abzuschnallen.
Windtänzerins Denken kreiste um frisches Heu. R'shiel fand stilles Vergnügen an dem bescheidenen Geist der Stute. Für sie war alles so einfach, bar aller Verwicklungen und Verstrickungen. Unterdessen ging Brakandaran seines Wegs, anscheinend mochte er nicht mehr in R'shiels Gegenwart sein.
»Wir haben hinreichend Männer, die sich um Euer Pferd kümmern können, Göttliche.«
R'shiel schwang den Sattel von Windtänzerins Rücken und wandte sich im Abenddämmern der Gestalt zu, die sie angesprochen hatte. »Ich bitte Euch, nennt mich nicht so, Fürst Wulfskling.«
»Dann lasst mich einen Vorschlag machen. Ihr ruft mich Damin, und ich nenne Euch R'shiel.«
»Einverstanden …« R'shiel hob den Sattel über den Zaun und sah dem Kriegsherrn ins Gesicht. »Damin …«
»Hat der Ritt dir Freude bereitet?«
»Überaus. Die Stute ist ein wunderschönes Pferd.«
»So soll sie dir gehören. Ein Geschenk.«
»Etwas so Kostbares kann ich keinesfalls annehmen, Fürst … um Vergebung, Damin.«
»Warum nicht?« Er trat näher und streichelte Windtänzerins goldbraunen Widerrist, während R'shiel das Zaumzeug abnahm. »Ich habe Tarjanian in meine Absicht eingeweiht, sie dir zum Geschenk zu machen. Offenbar hat er dagegen keine Einwände.«
»Um ein Geschenk anzunehmen, bedarf ich keiner Erlaubnis von Tarjanian«, entgegnete R'shiel und huschte unter Windtänzerins Hals hindurch, sodass nun der Leib der Stute zwischen ihr und dem Kriegsherrn stand. Sie rieb das Ross kräftiger als erforderlich ab. »Ich fürch
te, du könntest daraus mehr ableiten, als gerechtfertigt ist.«
»Aha, du glaubst, ich hätte vor, meine Bekanntschaft mit dem Dämonenkind für meine eigenen Bestrebungen auszunutzen, stimmt's?«
»Und ist es nicht so?«
Damin Wulfskling lachte. »Du und meine Schwester, ihr gäbt ein großartiges Paar ab. Kalan denkt geradeso wie du. Ich biete dir dies Geschenk an, R'shiel, weil ich dich mag. Sollte es mir eines Tages von Nutzen sein, nun gut, aber ich böte es dir auch an, sollte es irgendwann einmal meinen Interessen zum Nachteil gereichen.«
R'shiel hielt inne und forschte in Damins Miene. »Warum bist du hier?«
»Magus Brakandaran hat mich darum gebeten.«
»Und du hast augenblicklich alles liegen und stehen und die eigene
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