Dämenkind 2 - Kind der Götter
…«
»Um Erörterungen über die Mannheit Eures teuren Prinzen zu führen? Oder vielmehr, deren Fehlen? Keine Bange, Herzog Palen, Euer Leimsieder von Kronprinz braucht niemandem mehr Kopfzerbrechen zu machen, denn ich kehre heim nach Fardohnja und setze dort meinen Vater davon in Kenntnis, dass in Karien ein Knabenprinz, der wider jedes heilige Gebot der Götter verstieß, indem er seine Krieger durch Zwang willenlos in den Kampf schickte, seinen Sohn gemeuchelt hat. Das bedeutet für dieses allemal verwünschte Bündnis zwischen Fardohnja und Karien das Ende. Ihr erhaltet keinen Beistand, erst recht kein Geschütz, und es kommt zu keinem Einmarsch ins südliche Medalon. Ihr dürft von Glück reden, wenn Hablet nicht Karien den Krieg erklärt.«
»Wir müssten jegliches Bestreben Eurerseits, nach Fardohnja zu gelangen, als außerordentlich unkluges Betragen auslegen, Eure Hoheit«, entgegnete Herzog Rollo in bedrohlichem Ton.
»Glaubt nicht, Ihr könntet mich einschüchtern, Herzog Rollo«, erwiderte Adrina. »Ich gestalte mein Leben nach meinem Belieben. Ich geleite den Leichnam meines Bruders in die Heimat, damit er in fardohnjischer Erde bestattet werden und mein Vater seinen Verlust betrauern kann.«
»Wache!«, brüllte Rollo. Cratyn wirkte indessen, als fürchtete er sich zu sehr, um den Blick von Adrina zu
wenden. Sie konnte nicht erkennen, ob ihre Drohungen auf ihn Eindruck machten. Außerdem blieb es ihr einerlei. »Geleitet Ihre Hoheit in ihr Zelt«, befahl der Herzog, sobald die Wächter eintraten. »Ihre Durchlaucht ist außer sich vor Gram und weiß nicht, was sie redet. Sie darf ihre Unterkunft nicht verlassen, außer wenn Kronprinz Cratyn oder ich es ausdrücklich gestatten. Ist diese Weisung klar verstanden worden?«
Zackig entboten die Wachen ihren Gruß und warteten auf Adrinas Abgang. Erst jetzt erinnerte ein schwächlicher Funke ihres Verstandes sie daran, wo sie sich eigentlich aufhielt. In diesem Augenblick bemerkte sie den gewaltigen Fehler, den sie begangen hatte. Herzog Rollo war ein äußerst gefährlicher Schweinehund. In ihrem Zorn hatte sie diese Tatsache glattweg übersehen.
»Hütet Euch, Eure Hoheit«, riet er ihr. »Es sollte uns zutiefst unglücklich stimmen, müssten wir Eurem Vater mitteilen, dass er nicht nur einen Sohn, sondern auch eine Tochter verloren hat.«
29
WÄHREND MAN ADRINA zu ihrem Prunkzelt geleitete, verwünschte sie ihre Unbeherrschtheit. Durch wenige unbesonnene Worte hatte sie das Ergebnis etlicher mühevoller Monate, in denen sie den Kariern vorgegaukelt hatte, sie habe sich auf ihre Seite geschlagen, zunichte gemacht. Sie musste Herzog Rollos Drohung ernst nehmen. Würde man ihrem Vater mitteilen, sie sei aus Kummer über den Tod ihres Bruders gestorben? Habe sich aus Verzweiflung selbst das Leben genommen? Oder würde man ihr Ableben durch eine Seuche im Heerlager erklären?
Einerlei. Adrina war endgültig klar geworden, dass sie diese Umgebung verlassen musste, und für eine Flucht bot sich der einzige Ausweg über die medalonische Grenze zum Hüter-Heer.
Bevor sie ihr Zelt betrat, blieb Adrina stehen und schöpfte gründlich Atem. Nichts hätte sie lieber getan, als sich schlichtweg der Länge nach auf die Erde zu werfen und das Los ihres Bruders durch hemmungsloses Schluchzen zu beklagen. Sein tragisches Schicksal zerriss ihr schier das Herz. Dass ein so helles Licht durch den Ehrgeiz der Karier dermaßen leicht ausgelöscht werden konnte, war mehr, als sie zu verwinden vermochte. Aber um Tristan zu betrauern, sollte sich noch später Zeit finden. Jetzt war die Stunde des klaren
Denkens. Ein zweites Mal atmete sie tief ein, dann ging sie ins Zelt. Ein Plan, der während der letzten Wochen in ihr gekeimt war, nahm nun langsam reifere Gestalt an.
Tamylan und Mikel sprangen auf, als sie ins Zelt zurückkehrte. Tamylan hatte gerötete, verquollene Augen. Mikel war sein großes Unbehagen anzusehen. Mit betrübten Erwachsenen verstand er nichts anzufangen. Beiläufig fragte sich Adrina, ob er eigentlich begriff, was für ein Glück es für seinen Bruder bedeutete, noch Gefangener der Hythrier zu sein. Er brauchte, im Gegensatz zu ihr, die kommende Nacht nicht in tiefstem Kummer zu verbringen.
»Eure Hoheit?«, sagte er voller Erwartung.
Mit reichlich dramatischer Gebärde blickte Adrina über die Schulter und winkte die beiden heran. »Eben habe ich mit Kronprinz Cratyn gesprochen«, sagte sie in leisem, verschwörerischem Tonfall. »Es gibt
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