Dämenkind 2 - Kind der Götter
seiner Darlegungen änderte ihren Sinn. Es blieb schlichtweg nicht genügend Zeit, um die Zitadelle aufzusuchen und das Quorum auf andere Art und Weise von der Notwendigkeit zu überzeugen, Frohinias Rücktritt anzunehmen und Mahina erneut zur Ersten Schwester zu ernennen.
Einige Zeit lang ritt Garet Warner mit ihr und Brakandaran. Ungeachtet der Einwände Tarjanians hatte Warner sich schließlich – recht widerstrebend, wie R'shiel fand – mit ihrem Vorhaben einverstanden erklärt. Der Meinungsaustausch über die Reise zur Zitadelle war, da sich die Medaloner auf die bevorstehende Schlacht hatten vorbereiten müssen, nicht nur hastig und hitzig geführt worden, sondern auch in angespannter Stimmung. R'shiel war sich darin ziemlich sicher, dass Jenga und Mahina, hätte sie mit dem Aufbruch bis nach der Schlacht gewartet, Vorbehalte geäußert hätten, und vor allem seitens Tarjanian wären – mit Brakandarans Rückhalt – etliche Einwände vorgebracht worden. So jedoch waren alle Beteiligten durch die Gewissheit, dass die Karier den Großangriff in die Wege leiteten, zu stark abgelenkt gewesen, um für ihre Absicht allzu gründliche Aufmerksamkeit zu erübrigen.
»Die Macht der Götter beruht auf den Kräften der Natur«, sagte Brakandaran und hörte sich dabei genauso an wie Korandellan. »Sie ist am wirksamsten, wenn sie zur Verstärkung natürlicher Abläufe verwendet wird.«
»Das sind wohlgewählte Worte«, äußerte Warner, »um den Tatsachen auszuweichen.«
»Aber die Götter verkörpern doch Naturgewalten, Obrist.«
»Also mag buchstäblich alles und jedes geschehen, und missrät etwas, könnt Ihr die Schuld getrost einem Gott zuweisen. Kennt Ihr denn keinen freien Willen?«
Offenbar bereitete das Streitgespräch mit dem allen Gottheiten abgeneigten Hüter Brakandaran Vergnügen und schien ihn von R'shiel abzulenken. »Kalianah kann
bewirken, dass zwei Menschen zueinander in Liebe entbrennen, jedoch keinesfalls gegen ihren Wunsch. Dacendaran kann einen Dieb zum Stehlen ermuntern, aber aus einem Dieb keinen ehrbaren Mann machen.«
»Ja, wahrhaftig«, entgegnete Warner, »überall seht Ihr im Nebelhaften nichts als Wunder am Werk.«
Während R'shiel dem Wortwechsel Gehör schenkte, erkannte sie endlich, dass Brakandaran sie beileibe nicht vergessen hatte. Vielmehr versuchte er sie anschaulich an die Gefahren zu erinnern, die ihr drohten, wenn sie ihren Vorsatz in die Tat umsetzte. Zwar waren die Götter dazu fähig, die Sehnsucht eines Menschen zu vertiefen oder ein Ereignis auszulösen, das irgendwann vielleicht auch ohne ihre Nachhilfe einträte, aber sich ihrer Macht zu bedienen, um ein unnatürliches Geschehnis herbeizuführen, ähnelte dem Bemühen, gegen den natürlichen Strom der magischen Kräfte zu schwimmen. Aller Schlick und Schlamm, die längst auf den Grund des Flusses gesunken waren, wurden dabei aufgewirbelt und an die Oberfläche getrieben. Darum hatte sie, während die karischen Geistlichen den Magie-Zwang ausgeübt hatten, solchen Ekel verspürt.
Sie sah Warners abweisende Miene und wandte sich an ihn. »Ihr glaubt all das nicht im Geringsten, stimmt's, Obrist?«
»Indessen glaube ich, dass Ihr sehr wohl jedes Wort glaubt. Mich erstaunt die menschliche Fähigkeit, gänzlich natürliche Abläufe mit Übersinnlichem zu begründen und sie göttlichem Wirken zuzuschreiben, immer wieder aufs Neue.«
»Mit eigenen Augen habt Ihr Dämonen gesehen, und doch weigert Ihr Euch, an ihr Vorhandensein zu glauben«, hielt Brakandaran ihm vor. »Bedeutet das nicht, Ihr leugnet etwas ab, nur weil Ihr es nicht versteht?«
»Ich habe Geschöpfe gesehen, deren Auftauchen ich mir nicht zu erklären weiß, und meisterhafte Blendwerke, doch reicht dergleichen nur schwerlich hin, um mich in einen Götzengläubigen zu verwandeln. Schaut auf den Märkten der Zitadelle einem leidlich begabten Gaukler zu, und Ihr könnt durchaus zu der Überzeugung gelangen, es sei möglich, ein Frauenzimmer in Hälften zu zerteilen und danach neu zusammenzufügen. An etwas zu glauben macht daraus keine Wirklichkeit.«
»Dennoch wollt Ihr uns Beistand leisten«, bemerkte R'shiel. »Warum spart Ihr Euch nicht die Mühe, wenn Ihr in allem nur Gaukelei seht?«
»Meine Entscheidung stützt sich nicht auf Glauben, sondern auf zweckmäßiges Denken, R'shiel. Medalon steht einem Feind gegenüber, auf dessen Abwehr die Schwesternschaft nicht ausreichend eingestellt ist. Ich gewähre Hochmeister Jenga meine Hilfe, weil ich es
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