Dämenkind 2 - Kind der Götter
Teil, der dem Kriegsherrn zum Schlafen diente. Außer dem kleinen Tisch befand sich im Zelt – am anderen Ende – ein größerer, auf dem etliche Landkarten lagen, und nah am Kohlenbecken umringte eine Anhäufung dicker Kissen einen dritten, sehr niedrigen Tisch. Hythrier hockten gern auf dem Boden.
Adrina wandte den Blick zu Wulfskling und musterte ihn verstohlen. Er war ein Musterbild von einem Hythrier, hoch gewachsen, blond und muskulös infolge des vielen Reitens. Damit erschöpften sich allerdings seine Vorzüge. Sein Gesicht hatte die auffälligen Umris
se, die man bei allen Wulfsklings sah, und sein ganzes Gehabe bezeugte anmaßende Überheblichkeit.
Zuletzt hob er den Blick und schnitt eine hämische Grimasse. Anscheinend hatte er von Adrina eine ebenso schlechte Meinung wie sie von ihm. »Seid mir gegrüßt, Eure Hoheit.«
»Und Ihr mir, Fürst.«
Er legte den Federkiel fort und stand auf. »Verzeiht mir, regnet es etwa? Ich bitte Euch, reicht mir den Umhang. Ihr müsst ja frieren.«
Ob es regnete? Der Regen prasselte auf dem straff gespannten, geölten Zeltdach dermaßen laut, dass es Adrina Mühe bereitete, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie streifte den Umhang ab und warf ihn auf den Zeltboden – zum Schaden, so hoffte sie, des Teppichs –, dann stellte sie sich näher ans Kohlenbecken. Wie sich zeigte, musste sie zu Wulfskling aufblicken. Daran störte sie sich gehörig: Mit Cratyn hatte sie Auge in Auge gestanden.
»Haltet mich gefälligst nicht für ein einfältiges Mädchen, Fürst. Gewiss habt Ihr den schlimmsten Regenguss abgewartet, bevor Ihr mich holen ließet. Mag sein, Ihr findet derlei Gehässigkeiten lustig, ich hingegen sehe darin lediglich einen Beweis Eures Unvermögens, das Gebot der Höflichkeit, das man gegenüber hoch gestellten Gefangenen zu beachten hat, bis in die letzten Feinheiten zu begreifen.«
Wulfskling musterte sie von Kopf bis Fuß, sodass sie sich ihrer triefend nassen und zudem durchsichtigen Kleidung nur allzu deutlich bewusst wurde, dann zuckte er mit den Schultern. »Ich glaube, es wäre meinen
Zwecken nicht gerade dienlich, wenn Ihr Euch die Schwindsucht zuziehen und daran sterben solltet.« Er zog den Gobelin beiseite, der das Innere des Zelts teilte, und entnahm einer Holztruhe eine Wollbluse und eine Hose. »Legt diesen lachhaften Mummenschanz ab. Er ziemt sich nicht für eine Frau Eures Standes. Hier hinten könnt Ihr Euch umkleiden.«
Schroff nahm Adrina die kläglichen Lumpen an sich und begab sich hinter den Gobelin. Dort entledigte sie sich der feuchten Kleidungsstücke und warf sie vorsätzlich mitten auf Wulfsklings Lager, ehe sie umgekleidet in den Vorderteil des Zelts zurückkehrte. Kaum hatte sie die warme Bluse am Leib, hörte ihr Zittern auf, aber obwohl der Stoff sauber war, haftete daran noch schwach Wulfsklings Geruch. Das goldene Halsband umgab ihre Kehle wie Eis.
»Ich bitte Euch, nehmt Platz.« Adrina erfüllte ihm die Bitte und ließ sich auf das der Glut am nächsten liegende Kissen nieder. Sobald die Hitze der glühenden Kohlen sie bestrahlte, wallte aus ihren nassen Haaren Dampf empor. Wulfskling bot ihr einen Becher angewärmten Wein an, den sie mit einem argwöhnischen Blick betrachtete. »Es ist kein Gift darin. Wie ich schon erwähnt habe, stünde Eurer Ableben meinen Zwecken entgegen.«
Sie nahm den Becher und trank vom Wein, dessen willkommene Wärme sie unverzüglich durchströmte. »Eure Ritterlichkeit überwältigt mich, Fürst.«
»Schmeichelt Euch nicht, Adrina. Ich handle nicht aus Ritterlichkeit, sondern so, wie es meinen Absichten entgegenkommt.«
»Redet mich auf eine Weise an, die mir aufgrund meiner hohen Stellung gebührt, Fürst Wulfskling. Ich habe Euch keineswegs erlaubt, so vertraulich mit mir zu sprechen.«
Mit einer Geschmeidigkeit, die bei einem so hünenhaften Mann erstaunte, setzte sich Wulfskling auf das Adrina gegenüberliegende Kissen. »Ich spreche mit Euch, wie es mir beliebt, meine Liebe. In diesem Heerlager werdet Ihr nur wenige finden, die um Eure hohe Stellung auch nur einen Deut geben. Irgendeinen Wert habt Ihr gegenwärtig ausschließlich als Geisel. Allein darum achte ich darauf, dass Ihr am Leben bleibt. Letzteres erfordert jedoch keinesfalls, dass ich vor Euch krieche und buckle oder mich Euren blödsinnigen Grillen beuge.«
»In Fardohnja verwechselt man gutes Betragen nicht mit ›blödsinnigen Grillen‹«, stellte Adrina in eisigem Tonfall klar.
»Diesen Hinweis will ich
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