Dämenkind 2 - Kind der Götter
Reiter.
Nicht zum ersten Mal, seit Frohinia sich den Mantel der Ersten Schwester hatte umlegen dürfen, wünschte sich Tarjanian, auf ihr Geheiß aufgeknüpft worden zu sein. Dann wäre er nie in die Rebellion verwickelt worden. Er hätte nicht den Überfall auf die Schonerbark angeführt, bei dem der karische Gesandte den Tod gefunden hatte, und die Karier wären nicht gegen Medalon ins Feld gezogen. Was ihn allerdings am tiefsten schmerzte – wenn er es sich erlaubte, daran zu denken –, war R'shiels Schicksal. Ohne ihn wäre sie noch am Leben und in Bezug auf das, was sie eigentlich war, wohl noch in seliger Unkenntnis.
Aber vielleicht verhielte sich heute, wäre er gehängt worden, keineswegs irgendetwas anders. Die Harshini
hatten stets über R'shiel Bescheid gewusst, Brakandaran war ja von ihnen ausgeschickt worden, um sie zu suchen. Garet Warner und er hatten die Gefahr kriegerischer Feindseligkeiten seitens Kariens noch vor all den in neuerer Zeit stattgefundenen Ereignissen erkannt. Gleich wie er es betrachtete, anscheinend wurde er immerfort in Geschehnisse verstrickt, die sich seiner Einflussnahme entzogen. Er entsann sich daran, dass er bereits vor über einem Jahr, während er nach Testra geritten war – wo er dann in die Gefangenschaft Dracos geraten war, jenes Mannes, der sich später als sein Vater entpuppt hatte –, zu der Schlussfolgerung gelangt war, dass sein Leben sich inzwischen durch die unerfreulichste Ungewissheit auszeichnete.
Angesichts der jetzigen Verhältnisse empfand er das vergangene Jahr jedoch als eine Art gute, alte Zeit …
Der Rückritt ins Hüter-Heerlager geschah in angespannter Stimmung. Damin Wulfskling behielt seine üble Laune bei, und Garet Warner hüllte sich in Schweigen. Tarjanian wünschte, er könnte etwas sagen, das die Lage entkrampfte; stets hatte er Warner ja geschätzt und geachtet, aber unterdessen in Damin einen ausnehmend engen Freund gefunden – einen Mann, so wollte es die Schrulligkeit des Schicksals, den er jahrelang in der Südmark bekämpft und zu erschlagen versucht hatte.
Erst am späten Nachmittag rückte das VerräterKastell allmählich in den Gesichtskreis der drei Reiter. Obwohl die Heereshandwerker ihr Äußerstes geleistet hatten, blieb es unwahrscheinlich, dass das Kastell je wieder einen anderen Zweck erfüllen konnte, als eine
zeitweilige Befehlsstelle abzugeben. Tarjanian fragte sich, was aus Bereth und den Waisen geworden sein mochte. Von ihnen war in der Ruine keine Spur mehr zu sehen gewesen. Waren sie mit dem Leben davongekommen? Hatte Bereth für die Kleinen eine sicherere Zuflucht ausfindig gemacht? Gern hätte Tarjanian dazu Gelegenheit gehabt, sich über ihr Schicksal Aufschluss zu verschaffen.
Die Zelte des Heerlagers bedeckten rings um das Kastell eine weite Fläche Land. Die Hythrier lagerten im Westen der Ebene. Während das Dreigespann sich dem Wald aus Zelten näherte, zügelte Damin Wulfskling sein Pferd und nahm das Lager versonnen in Augenschein. Tarjanian brachte sein Reittier neben dem Kriegsherrn zum Stehen. Garet Warner ritt weiter; offenbar hatte er kein Interesse an dem Ausblick.
Sämtliche Hüter-Zelte waren in geraden Reihen aufgebaut worden, in jedem Zelt wohnten vier Mann. Dazwischen lagen in ordentlichen Haufen Speere und Spieße aufgeschichtet. Dieser Teil des Lagers bot einen so gleichmäßigen und übersichtlichen Anblick, wie die im Hüter-Heer übliche Disziplin es verlangte. Dagegen sah der deutlich kleinere hythrische Teil aus, als hätte eine buntscheckige, zur Jagd ausgerittene Kriegerschar ihn angelegt. Keine zwei Zelte ähnelten einander, und ihre Benutzer hatten sie aufgestellt, wo es ihnen beliebte.
Infolge der Lagerfeuer und der großen Schmiedeöfen, die man im Freien – am Südwall des Kastells – errichtet hatte, schwebte unablässig ein Rauchschleier über den zahlreichen Zelten. Selbst aus der Ferne konnte Tarjanian leise das regelmäßige Klirren der Schmiedehämmer
unterscheiden. Am dringlichsten wurden zusätzliche Schwerter sowie Speer- und Pfeilspitzen benötigt. Hochmeister Jenga hatte beschlossen, dass sie an Ort und Stelle angefertigt werden sollten, anstatt sie auf Schiffen von der Zitadelle herbefördern zu lassen, obschon die Schwierigkeiten, die sich bei der Beschaffung des Brennstoffs für das Schmiedefeuer ergaben, nahezu den Vorteil überwogen, der sich daraus ergab, sie nahe dem künftigen Schlachtfeld schmieden und ausbessern zu können.
Nördlich des Heerlagers
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