Dämenkind 2 - Kind der Götter
die Sklaven zu behalten …«
»Ich sehe nichts dergleichen ein«, entgegnete Adrina voller Trotz. »Genügt es nicht, dass ich niemals wieder die Heimat sehen soll? Nun habt Ihr vor, mir überdies die einzigen vertrauten Gesichter zu nehmen, die mir geblieben sind. Wie könnt Ihr zu mir so grausam sein? Predigt Euer Allerhöchster denn außer Frommsein und Tugend auch Roheit?«
Diese Vorhaltungen verschlugen dem Kronprinzen zunächst die Sprache. Er hatte wohl nicht angenommen, Adrina könnte sich, um ihren Standpunkt zu untermauern, gar auf seinen Gott berufen. »Ich … Freilich nicht … Möglicherweise lässt sich ja eine Einigung erlangen?«
Kaum dass er einlenkte, lächelte Adina ihm fröhlich zu.
»Ihr wollt sagen, ich darf einige von ihnen behalten? Zumindest ein, zwei?«
»Ihr müsstet sie zu Freien erklären«, stellte Cratyn klar. »Wenn sie Eure freiwilligen Bediensteten sind, haben unsere Geistlichen, da bin ich mir sicher, gegen sie keine Einwände.«
»Ach, ich danke Euch von Herzen, Eure Hoheit«, plapperte Adrina ebenso überschwänglich wie gänzlich unaufrichtig. Mit beiden Händen ergriff sie seine Hand, drehte sie um und küsste sie – nach fardohnjischem Brauchtum –, doch sie ließ dabei ihre Zungenspitze zart über die von Schwertübungen schon schwielige Handfläche gleiten. Erschrocken durch diese Vertraulichkeit riss Cratyn die Hand zurück. Er errötete sogar.
»Vielleicht sollten wir uns nun zurück unter Deck begeben, Eure Hoheit«, schlug er rasch vor.
Adrina biss sich auf die Lippen, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Erstaunt zog sie den Rückschluss, dass dieser Jüngling es wahrscheinlich noch nie mit einer Frau getrieben hatte. Der Allerhöchste verlangte, dass seine Gläubigen außerhalb der Ehegemeinschaft auf das Geschlechtsleben verzichteten, und selbst unter Gatten sollte es ausschließlich dem Zweck der Fortpflanzung dienen. Cratyn benahm sich so fürchterlich fromm, dass er vermutlich das Bedürfnis nach Selbstzüchtigung verspürte, wenn ihn unkeusche Gedanken heimsuchten. Adrina dachte im Stillen, dass die Hochzeitsnacht wohl ein recht bemerkenswertes Ereignis werden würde: Cratyn tat voraussichtlich so, als wüsste er, was es galt, während sie vorzuspiegeln hatte, vollkommen unkundig zu sein.
»Ja, mag sein«, stimmte Adrina schließlich zu; doch ihr Lächeln rührte viel weniger von der Unterhaltung und weit mehr von der Vorstellung her, die sie sich allmählich von ihrem bevorstehenden Eheleben machen konnte.
Das Kloster Slarn erregte einen ebenso düsteren und beklemmenden Eindruck wie der Rest der Insel. Was Adrina während der Kutschfahrt vom Hafen zum Kloster an wenigem sah, zeichnete sich durch Felsigkeit, Kahlheit und Windigkeit aus. Zwar ragte die Insel aus der Mitte des Fardohnjischen Golfs empor, aber ihre Bekanntheit beruhte stärker auf dem Ruf der Bewohner als auf der Bedeutung für Krieg und Schifffahrt, die ihr die Lage verlieh. Slarn war der Stammsitz der XaphistaPriesterschaft und Standort einer Siedlung von Kranken, die an Maliks Fluch litten. Aus irgendeinem Grund erwies sich die karische Priesterkaste als gefeit gegen diese Art der Schwindsucht. Wen das Leiden ereilte, den verbannte man – gänzlich ungeachtet der Volkszugehörigkeit – nach Slarn, sobald die Erkrankung feststand. Cratyn hatte Adrina versichert, die Siechen hausten weitab vom Kloster, doch er hatte ihre Bedenken hinsichtlich der Ungefährlichkeit dieser Nachbarschaft nicht zur Gänze zerstreuen können. Die Mutter ihres Halbbruders Gaffen hatte sich, als er noch ein Knabe gewesen war, die Krankheit zugezogen, und Adrina erinnerte sich bis heute daran, vor dem Palast zugeschaut zu haben, wie all ihr Hab und Gut verbrannt worden war, während man sie fortgebracht hatte. Sie hatte geschluchzt und den Wunsch herausgeschrien, man möge ihr gestatten, von ihrem Sohn Abschied zu nehmen. Alles, was Emalia je berührt hatte, hatte man den Flammen übergeben, damit sich niemand anderes im Palast ansteckte. Nun fragte sich Adrina, ob Emalia auf der Insel wohl noch unter den Lebenden weilte oder ob die Krankheit sie inzwischen dahingerafft hatte?
Sie heftete den Blick auf Cratyn und wölbte die Brauen. In der schmucklosen, aber zumindest erträglichen Kutsche, mit der sie am Hafen abgeholt worden waren, saß er ihr gegenüber, hielt den Kopf gesenkt und brabbelte anscheinend lautlos irgendetwas vor sich hin. Be stimmt betet er , schlussfolgerte Adrina ungeduldig.
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