Dämenkind 2 - Kind der Götter
und sich fragt, wann und wo sie etwas Falsches verbrochen haben mag. Das erwähnte Meer muss reichlich gefüllt sein mit Seelen.«
»Euer Mangel an Ehrfurcht kann Euch Schwierigkeiten einhandeln, Eure Hoheit« warnte der Geistliche sie. »Seid auf der Hut, wenn Ihr in Schrammstein weilt. Bei Hofe dürfte man solche Bemerkungen schwerlich mit Wohlwollen aufnehmen.«
Standhaft erwiderte Adrina den Blick des Priesters. »Kann euer Glaube keinen Gedankenaustausch verkraften, Vonulus? Es wird verlangt, dass ich an euren Gott glaube, aber es widerstrebt dir, wenn ich Fragen zu mir unverständlichen Einzelheiten stelle. Die Götter meiner Heimat mögen zahlreich sein, aber sie haben zumindest einen Sinn für Humor.«
»Eure Hoheit, der Sinn für Humor wird Euch kaum von Nutzen sein, solltet Ihr Euch bei Eurem Ableben nicht im Zustand der Gnade befinden. Die Götzen, die man in Eurer Heimat verehrt, verkörpern nichts als Naturgewalten, denen verblendete Menschen göttliche Eigenschaften verliehen haben. Ihr solltet dankbar für die Gelegenheit sein, Euch mit Kronprinz Cratyn zu vermählen, denn zur gleichen Zeit ebnet sie Euch den Weg zum einzigen und wahren Gott.«
Adrina spürte, dass sie den Priester für heute zur Genüge gereizt hatte, und schenkte ihm ein versöhnliches Lächeln. Ihr blieb es einerlei, dass man von ihr erwartete, den Gott Kariens zu verehren. Sie war keine Törin und hegte vollauf den Vorsatz, sich in Zukunft zu betragen, als wäre sie bekehrt worden. Doch ihre wirklichen Überzeugungen saßen zu tief, als dass ein Pfaffe, wie gerissen oder beredt er auch sein mochte, sie ohne weiteres hätte umstoßen können.
»Ich weiß deine Ratschläge zu schätzen, Vonulus«, lenkte sie ein. »Ich hoffe, der Allerhöchste verzeiht mir meine heidnische Unwissenheit.«
Vonulus schaute ein wenig argwöhnisch drein, aber dann nickte er. »Der Allerhöchste kann Euch ins Herz schauen, Eure Hoheit. Nach dem, was er darin sieht, wird sein Urteil über Euch ausfallen.«
»Nun, dann habe ich ja nichts zu befürchten, oder?«, fragte Adrina in fröhlichem Ton.
»Sicherlich nicht«, stimmte Vonulus ihr mit merklichem Bedenken zu.
Zwei Tage später legte die Schonerbark in Setenton an, der ersten richtigen Stadt, die Adrina, seit sie sich in Karien befand, zu sehen bekam. Die Stadt hatte ein ansehnliches Hafenviertel und einen eindrucksvollen Marktplatz, erwies sich jedoch, so wie jede der Ortschaften, an denen das Schiff im Lauf der vergangenen Wochen vorübergesegelt war, als schmuddelig und überlaufen. Auf einer benachbarten Anhöhe, die Ausblick auf den Fluss und den umgebenden Landstrich gewährte, stand eine mit der Stadtmauer verbundene, schroffe, mit dicken Wällen geschützte Burg. Diese finstere Feste war der Stammsitz Herzog Terbolts von Setenton; wie Adrina von Espera erfuhr, des Vaters von Virgina.
Während die Besatzung das Schiff an der Hafenmauer vertäute, beobachtete Adrina die junge Frau, aber Virgina war – wenigstens äußerlich – keine Freude über die Ankunft an ihrem Heimatort anzusehen. Stattdessen äugte sie immer wieder auffällig hinüber zu Cratyn, als lege sie es darauf an, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Zur Anerkennung des Kronprinzen ließ sich feststellen, dass er sie auf geradezu abweisende Art missachtete.
Der Anblick, der Adrina empfing, als man das Schiff endlich festgemacht hatte, entlockte ihr zu guter Letzt ein Lächeln. Zu ihrer Begrüßung war eine Ehrenwache angetreten – ihre eigene Leibwache, Fardohnjer bis zum letzten Mann und allesamt in Prunkuniform.
Ihr Vater vertrat die Auffassung, dass man an riesigem Reichtum nur dann Vergnügen haben konnte, wenn man damit protzte, und deshalb hatte er bei der Ausrüstung ihrer Leibwache keine Ausgaben gescheut. Jeder der fünfhundert Männer saß auf einem rassigen schwarzen Hengst, dem man die Herkunft aus den berühmten
Gestüten der Jalanar-Ebenen eindeutig ansah. Die Krieger selbst leuchteten in Silber und Weiß, trugen weiße, mit Silber beschlagene Kragenstiefel, ferner weiße, mit dem Pelz des seltenen medalonischen Graufuchses besetzte Umhänge sowie prächtig verzierte Silberhelme.
Nach der fardohnjischen Überlieferung rührte der Brauch, die Leibwache des Königshauses in Weiß zu kleiden, von fast tausend Jahre zurückliegenden Ereignissen her, in deren Verlauf König Waldon der Friedvolle seinem Anverwandten Blagdon dem Blutigen den Thron entwunden hatte. Fortan sollte Waldon darauf Wert gelegt
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