Dämenkind 2 - Kind der Götter
Absicht?«
Adrina machte große Unschuldsaugen. »Absicht? Von irgendeiner Absicht kann beileibe keine Rede sein. Es ist lediglich mein Wunsch, Fehltritte zu vermeiden. Ich möchte nichts sagen oder tun, das man in meiner Heimat als vollauf alltäglich ansieht, in eurem Land dagegen zur Folge haben könnte, dass ich gesteinigt werde.«
»Eine vernünftige Vorkehrung, Eure Hoheit«, antwortete der Priester mit einer Miene, die bezeugte, dass er ihr kein Wort glaubte. »Was genau wünscht Ihr von mir zu hören?«
»Erkläre mir eure ›Unzucht‹, ich möchte wissen, was man in Karien darunter versteht.«
»Es geht keineswegs darum, wie man sie in Karien versteht, Eure Hoheit. Sie ist mit einem Verbot Xaphistas belegt, und daher hat einzig und allein seine Erklärung Gültigkeit.«
Wohlweislich sah Adrina davon ab, dieser Aussage zu widersprechen. »Wenn du es so sagst … Benenne seine Erklärung.«
»Nach dem Wort des Allerhöchsten liegt Unzucht bei jedem Gedanken oder jeder Tat vor, die einen Mann dazu verlockt, die Ehefrau eines anderen Mannes zu begehren, oder eine Frau dahin verleitet, den Ehegemahl einer anderen Frau zu begehren.«
Adrina furchte die Stirn. »Lass mich sehen, ob ich dich richtig verstanden habe. Wenn es mich nach einem Vermählten gelüstet, begehe ich die Sünde der Unzucht, aber nicht, wenn meine Lust sich auf einen Unvermählten richtet, ja? Ist es so?«
»Ich glaube, Ihr fasst meine Darlegungen allzu wörtlich auf, Eure Hoheit«, entgegnete Vonulus kopfschüttelnd, aber Adrina gewährte ihm keine Zeit zu weiteren Erläuterungen.
»Und umgekehrt wäre es, vermute ich, ganz ähnlich, oder?«, fragte sie. »Sollte meinen Gemahl die Liebe befallen … Also, lasst uns einmal des Gesprächs halber annehmen, Kronprinz Kretin verliebte sich wie ein Rasender in eine meiner Hofdamen …« Der Reihe nach schaute sie die vier bestürzten jungen Frauen an, bevor sie den Blick auf Hofdame Virgina heftete. »Sagen wir, in Virgina …«
»Eure Hoheit!«, kreischte Virgina entsetzt.
Adrina lächelte freundlich. »Ereifert Euch nicht, Virgina, ich nenne Euch ja nur aus dem Grund, um in diesem zu meiner Erhellung bestimmten Streitgespräch meinen
Standpunkt zu verdeutlichen. Wie könnte denn jemand mit deinem Namen etwas anders als rein sein? Denken wir uns einmal, Kronprinz Kretin und Virgina erlägen … der fraglichen Sünde, dann käme wohl Kretin ungeschoren davon, weil Virgina unvermählt ist, meine arme Hofdame jedoch würde, weil Kretin mein Gemahl ist, dafür gesteinigt. Ist diese Betrachtungsweise zutreffend?«
Vonulus wirkte alles andere als vergnügt. »Bei allerstrengster Auslegung, Eure Hoheit, könnte es, so muss ich einräumen, möglicherweise so kommen, allerdings …«
»Aha«, unterbrach Adrina ihn. »Und ich kann schon durch lüsterne Gedanken sündigen?« Ihr Götter, in welche Widrigkeiten bin ich da geraten! »Woher willst du wissen, was ich denke?«
»Ich muss es nicht wissen, Eure Hoheit. Xaphista sieht alles. Der Allerhöchste wüsste es.«
»Dann muss er ein überaus stark beschäftigter Gott sein«, schlussfolgerte Adrina wenig ehrerbietig.
»Wenn wir sündigen Vorstellungen widerstehen«, gab Vonulus zur Antwort, »ersparen wir Gott das Erfordernis, uns immerzu unter Aufsicht zu behalten.«
»Und Ihr, meine Hofdamen, Ihr trotzt der Versuchung?«
Eilends bejahten die jungen Frauen durch nachdrückliches Nicken. Allzu hastig , beobachtete Adrina mit verhohlenem Schmunzeln.
»Der Allerhöchste lehrt uns«, sagte Pacifica, »dass wir uns, indem wir den Verlockungen die Stirn bieten, im nächsten Leben einen Platz an seiner Himmlischen Tafel sichern.«
»Du meinst, wenn du in diesem Leben ein liebes Mädchen bist, wirst du im nächsten Leben nicht als Küchenschabe wiedergeboren?«
Vonulus seufzte schwer. »Eure Hoheit, so ich mich recht entsinne, haben wir über die Frage der Wiedergeburt schon vor einigen Tagen gesprochen. Etwas Derartiges gibt es nicht. Uns wird nur ein Leben geschenkt. Nach dem Tode steigt unsere Seele, wenn wir nach den Geboten des Allerhöchsten gelebt haben, empor zu seiner Himmlischen Tafel.«
»Und haben wir's nicht getan, stürzen wir auf alle Ewigkeit ins Meer der Verzweiflung«, antwortete Adrina und nickte. »Ich erinnere mich an unsere diesbezügliche Unterhaltung. Das bedeutet, wenn ich deinen Erklärungen folge, dass die Seele jedes Menschen, der je gelebt und nicht Xaphista angebetet hat, jetzt im Meer der Verzweiflung zappelt
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