Dämenkind 2 - Kind der Götter
für mich empfindet, ist unerheblich.«
»Nun denn, so vertraut Ihr dem Allerhöchsten«, antwortete Adrina. »Ich winke und lächle dem Volk zu. Bisher bin ich ja noch kein Mitglied Eurer durch göttliche Gnade in die weltliche Oberhoheit eingesetzten Sippschaft.«
Adrina widmete ihre Aufmerksamkeit wieder den Ortsbewohnern, ohne sich um Madrens missfällige Miene und Cratyns sichtliche Verzweiflung zu kümmern. Tristan, der an der Spitze des Geleits ritt, blickte sich über die Schulter um, und Adrina verdrehte die Augen. Er lachte und gab dem Ross die Sporen.
Adrina aber hatte Grund zu fürchten, dass ihr der Tag noch lang werden sollte.
Schon seit einem Jahrtausend herrschte in Fardohnja ohne Unterbrechung ein einziges Monarchengeschlecht. Seit tausend Jahren verwalteten die fardohnjischen Könige ihr Reich nach der Grundregel, dass in blühenden Ländern selten Aufruhr entsteht. Diese Haltung hatte sich bislang stets im Wesentlichen bewährt, und darum hatten Fardohnjas Baumeister kaum irgendwo die Einbeziehung andernorts üblicher Verteidigungsanlagen berücksichtigt. Ihr überwiegendes Anliegen galt der Schönheit. Außerdem konnte man, verfügte man über genügend Reichtum, die tüchtigsten Baumeister vor die Aufgabe stellen, Verteidigungseinrichtungen zu schaffen, die dem Betrachter ihren eigentlichen Zweck nicht ständig vor Augen hielten.
Im Gegensatz dazu sahen die Karier nicht an erster Stelle das Schöne und an zweiter Stelle den Nutzen. Burg Setenton war eine Festung und gab in keiner Hinsicht vor, etwas anderes zu sein. Die Mauern maßen in der Höhe dreißig Ellen und waren dicker als zwei Mannslängen, und der Zwinger strotzte von kriegerischen Einrichtungen und Kriegsgerät. Als Adrina im Burghof – in dem es von Männern und Gäulen nur so wimmelte und unablässig Schmiedehämmer erklangen – aus der Kutsche stieg, fragte sie sich, ob der Ruf des medalonischen Hüter-Heers halten mochte, was er versprach. Insgeheim hoffte sie es. Karien war viel größer als Medalon und konnte das kleinere Land, falls anderes nicht half, im Grunde genommen allein dank der schieren Übermacht überrennen.
Hablet brauchte einen längeren Krieg an Medalons Nordgrenze. Mit einem Heer über das MorgenlichtGebirge in Hythria einzufallen blieb ausgeschlossen, aber konnte er gefahrlos durch Medalons weite Ebenen ziehen, so bot sich ihm die Möglichkeit, einen Schwenk nach Süden zu machen. Die Karier freilich dachten, er habe, um ihre Sache zu unterstützen, die Absicht, Meda
lon anzugreifen. Erst wenn sein Heer die Richtung änderte, sollten sie seinen Verrat erkennen. Adrina billigte diese Hinterlist nicht, zumal sich die Wut der Karier, wenn sie erst erkannten, dass sie genarrt worden waren, gegen sie wenden musste. Ihr Vater hatte ihr empfohlen, beizeiten für eine Flucht Vorsorge zu treffen. Im Übrigen jedoch scherte es ihn anscheinend wenig, dass sein Vorhaben Adrina den Kopf kosten mochte …
Herzog Terbolt empfing sie auf der Freitreppe des Burgsaals. Der Herzog war ein hünenhafter Mann mit trüben braunen Augen und müdem Gesicht. Aber er hieß Cratyn voller Wohlwollen willkommen, ehe er sich an Adrina wandte.
»Seid mir gegrüßt auf Burg Setenton, Eure Durchlaucht«, sagte er, indem er eine Verbeugung andeutete.
»Habt Dank, Herzog Terbolt«, gab Adrina liebenswürdig zur Antwort. »Ich hoffe, unser Aufenthalt wird Eure Mittel nicht über die Maßen beanspruchen. Auch seid Ihr der Wirt meiner Leibwache. Sie ist Euch doch nicht zur Last gefallen?«
Terbolt schüttelte den Kopf. »Ein paar Verständigungsschwierigkeiten sind aufgetreten, Eure Hoheit, ansonsten kann von Misslichkeiten keine Rede sein. Ich bitte Euch, gestattet mir, Euch in Eure Gemächer zu führen. Sicherlich seid Ihr müde von der langen Reise, und wir Männer haben Angelegenheiten zu erörtern, die für Euch wohl kaum von Interesse sein dürften.«
Ganz im Gegenteil zu dieser Annahme hegte Adrina das allergrößte Interesse an diesen »Angelegenheiten«, doch es kam ihr nahezu unmöglich vor, diesen Barbaren zu verdeutlichen, dass eine Frau etwas von der Staats
kunst oder vom Krieg verstand. »Gewiss, Herzog, da habt Ihr Recht. Aber darf vielleicht Tristan Eurem Gespräch beiwohnen? Ich bin sicher, er kann aus Euren Erörterungen etwas lernen und möglicherweise Eure Darlegungen um neue Gesichtspunkte ergänzen, oder was glaubt Ihr?«
»Er spricht ja gar nicht Karisch, Eure Hoheit«, äußerte Kronprinz Cratyn, dessen Miene
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