Dämmerschlaf - Roman
niedergelassen.
«Jetzt stehe ich aber nicht mehr auf und ziehe noch einmal meine Wanderschuhe an!», beschimpfte Pauline das Wetter, und ein paar Minuten später gaben ihr die regennassen Fensterscheiben recht.
«Aprilschauer», bemerkte sie mit einem etwas herben Lächeln. Tadelnd blickte sie auf ihre Tochter. «Es war selbstsüchtig von mir, dich hier festzuhalten, Liebes. Du hättest mit Lita und deinem Vater fahren sollen.»
«Aber es gab so viel Papierkram zu erledigen, Mutter. Und Greystock hängt mir wirklich ziemlich zum Hals heraus.»
Pauline brachte eine Neuauflage ihres Lächelns zustande. «Nun ja, zum Tee werden sie wohl zurück sein. Heute Nachmittag leider kein Golf», sagte sie und blickte mit heimlicher Genugtuung auf den immer heftiger werdenden Platzregen.
«Nein, aber Lita will vielleicht dort bleiben und tanzen.»
Pauline kommentierte dies nicht, sondern wandte ihre gesammelte Aufmerksamkeit wieder dem Spiel zu.
Das Holz im Kamin, rechtzeitig nachgelegt, knisterte und knackte vor sich hin. Die Wärme entlockte den Nelken und Rosenpelargonien ihren starken Duft, und im Zimmer war es schwül wie in einem sommerlichen Garten. Die Dämmerung sank aus den wolkenbeladenen Himmeln, und zu gegebener Zeit zog dieselbe Hand, die sich auch um das Feuer kümmerte, die Vorhänge an ihren Ringen geräuschlos zu und entzündete die Lampen. Endlich erschien Powder an der Spitze der Prozession mit dem Teetisch.
Pauline erhob sich von einer endlosen Partie Mahjong, um bei der folgenden Zeremonie die von ihr erwartete Rolle zu spielen. Sie setzte sich mit Nona vor den Kamin und hob mit kritischer Miene die Deckel von den kleinen Gerichten.
«Ich habe diese Muffins bestellt, die dein Vater so gern isst», sagte sie ungewohnt wehmütig. «Vielleicht sollten wir sie zurückschicken und warm stellen lassen.»
Auch Nona hielt das für besser; doch als sie die Hand auf die Klingel legte, ließ sie das Geräusch eines näher kommenden Autos stutzen. Die Hunde erwachten mit beglücktem Knurren und flitzten hinaus. «Da kommen sie ja doch noch», sagte Pauline.
Ein Weilchen herrschte Schweigen, das nicht von dem üblichen Willkommensgekläff untermalt wurde, dann hörte man ein Geräusch, als würden Mantel, Schal und Regenschirm abgelegt, und schließlich erschien Powder auf der Schwelle, diesmal peinlich berührt und verlegen.
«Mr Wyant, Madam.»
«Mr Wyant?»
«Mr Arthur Wyant. Er scheint der Meinung, Sie würden ihn erwarten», fuhr Powder fort, als wollte er die Mitteilung in die Länge ziehen, um seiner Herrin Zeit zu verschaffen.
Mrs Manford begriff, tat einen ihrer heroischen Flügelschläge und zeigte sich der Lage gewachsen. «Ja, ich habe ihn erwartet. Bitte führen Sie ihn herein», sagte sie, ohne einen Blick auf ihre Tochter zu wagen.
Arthur Wyant trat ein, groß und doch gebeugt in seinem abgewetzten, gut geschnittenen Anzug, eine nervöse Röte auf den Wangenknochen. Er schwieg und ließ einen leicht bestürzten Blick durchs Zimmer wandern, einen Blick, der verriet, dass er bei seinem Beschluss, Pauline aufzusuchen, nicht bedacht hatte, in welch vertrauter Umgebung er sie antreffen würde. «Du hast hier fast nichts verändert», sagte er unvermittelt und klang geistesabwesend wie ein Mann, der nur langsam das Bewusstsein wiedererlangt.
«Wie geht es dir, Arthur? Es tut mir leid, dass dein Ausflug auf einen so regnerischen Tag fällt», erwiderte Mrs Manford in zwanglosem Ton, der auf den sich zurückziehenden Powder zielte.
Ihr früherer Ehemann nahm keine Notiz davon. Sein Blick wanderte weiter durchs Zimmer, immer noch unsicher und suchend.
«Fast nichts», wiederholte er, als habe er bislang nicht bemerkt, dass sich außer ihm noch jemand im Zimmer befand. «Doch, dieser Raeburn 64 – ja. Der hing im Esszimmer, nicht wahr?» Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wie um einen Nebel der Vergesslichkeit beiseitezuwischen, und ging auf das Bild zu.
«Warte. Der hängt genau da, wo früher das Sargent 65 -Bild von Jim als Junge hing, Jim auf seinem Pony. Genau über meinem Schreibtisch, sodass ich ihn immer sah, wenn ich aufblickt e …» Er wandte sich an Pauline. «Hübsches Bild. Was hast du damit gemacht? Warum hast du es weggeräumt?»
Pauline errötete, aber über ihre Röte schob sich tapfer ein versöhnliches Lächeln. «Das war nicht ich. Das wa r … Dexter wollte es haben. Es ist in seinem Zimmer, seit Jahren.» Sie schwieg, dann fuhr sie fort: «Du weißt doch, wie
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