Dämmerschlaf - Roman
uns für vieles dankbar sein müssen, wenn er heimkommt», sagte Pauline lächelnd zu ihrer Tochter. «Ich hoffe, er weiß zu würdigen, was dein Vater getan hat. Aber dass er auf der Insel geblieben ist, beweist es ja. Übrigens», fuhr sie mit einem weiteren Lächeln fort, «habe ich dir überhaupt schon erzählt, dass Arthur mir gestern über den Weg gelaufen ist?»
Nona zögerte kurz. «Mir auch.»
«Ach ja? Das hat er nicht erwähnt. Er sieht besser aus, findest du nicht? Aber er wirkte erregt und ruhelos – fast wie vor einem neuen Gichtanfall. Er war verärgert, weil ich nicht auf der Stelle mit ihm nach Hause gehen wollte, dabei war es schon nach sechs, und ich hätte dann in der Stadt essen müssen.»
«Das war vielleicht auch besser so, nach einem derart anstrengenden Tag.»
«Er war so stur – du weißt ja, wie er manchmal sein kann. Er bestand darauf, mit mir zu reden, wollte mir aber nicht verraten, worüber.»
«Das weiß er wohl selbst nicht. Wie du schon sagtest, er ist immer nervös, wenn ein Anfall droht.»
«Aber es schien ihn sehr zu kränken, dass ich mich weigerte. Ich sollte ihm versprechen, heute wiederzukommen. Und als ich erklärte, das könne ich nicht, antwortete er, dann käme er hierher.»
Nona zuckte ungeduldig die Achseln. «Das ist doch lächerlich! Natürlich kommt er nicht. Der arme alte Punkt A marschiert auf die Haustür von Cedarledge zu – das kann ich mir gar nicht vorstellen.»
Wieder errötete Pauline; auch sie hatte sich diese Möglichkeit nur ausgemalt, um sie anschließend von sich zu weisen. Wyant hatte sich immer geweigert, die Schwelle ihrer New Yorker Wohnung zu überschreiten, obwohl sie in einem Haus lebte, das sie erst nach ihrer zweiten Heirat gekauft hatte; bestimmt widerstrebte es ihm noch mehr, Cedarledge zu betreten, wo sie beide die ersten gemeinsamen Jahre verbracht hatten und ihr Sohn geboren war. Es gebe einfach gewisse Dinge, pflegte er zu sagen, die ein Mann nicht tat, basta.
Nona war immer noch in Gedanken versunken. «Ich würde nicht zu ihm in die Stadt fahren, Mutter; warum solltest du? Er war gestern erregt und ziemlich mürrisch, aber eigentlich hatte er nichts zu sagen. Er wollte sich nur selbst reden hören. Solange wir hier sind, wird er niemals kommen, und wenn sich diese Stimmung gelegt hat, wird er sich nicht einmal mehr erinnern, worum es ging. Wenn du willst, schreibe ich ihm, dass du ihn besuchst, sobald wir zurück sind.»
«Danke, Liebes, das wäre nett.»
Wie vernünftig das Kind sein konnte, wenn es wollte! Diese Antwort entsprach genau dem heimlichen Wunsch der Mutter, und so beschloss sie, als sie vom Frühstückstisch aufstand, sich fortzustehlen und abschließend die Kardinalsliste durchzugehen. Wie wohltuend, dieses eine Mal genug Zeit zu haben, um einem so wichtigen Anlass all die Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen, die er verdiente.
28
Als Nona am nächsten Morgen herunterkam, regnete es – ein kalter, stürmischer Regen, der die Zweige peitschte und den bestürzten Frühling in seine geheimen Schlupfwinkel zurücktrieb.
Es war der erste Regen seit ihrer Ankunft in Cedarledge, und er schien auch sie zu verjagen – zurück in die winterliche Welt der Stadt, der tropfnassen Straßen, des frühen Lampenlichts und der überfüllten Vergnügungsstätten.
Mrs Manford hatte bereits gefrühstückt und das Esszimmer verlassen, doch der Teller ihres Mannes war noch unberührt. Er kam herein, als Nona gerade fertig wurde, und nach einem geistesabwesenden Nicken und Lächeln ließ er sich schweigend an seinem Platz nieder. Er saß gegenüber den riesigen, regengepeitschten Fenstern, und wie er so ins Grau hinausstarrte, schien es, als sei trotz des roten, funkensprühenden Feuers etwas von diesem Grau ins Zimmer gedrungen und hätte ihm Gesicht und Haar gebleicht.
In letzter Zeit war Nona seine frische Gesichtsfarbe aufgefallen, und wie kraftvoll sich die dunklen Locken an seinen hellbraunen Schläfen ringelten; doch jetzt wirkte er blass und herbstlich. «Was man so ‹dem Alter entsprechend› nennt – als ob nicht jeder von uns ein Dutzend oder hundert verschiedene Alter hätte!» Ihr Vater starrte nun nicht mehr nach draußen, sondern in die Morgenzeitung auf dem Buchständer neben seinem Teller. Mit gesenkten Lidern und zusammengekniffenen Lippen sah er wieder merkwürdig anders aus – fast wie seine eigene Bronzebüste. Sie erschauerte ein weni g … «Vater! Dein Kaffee wird kalt.»
Er schob die Zeitung
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