Dämmerschlaf - Roman
beiseite, nahm flüchtig den Briefstapel neben seinem Teller zur Kenntnis und richtete seinen Blick auf Nona. Das Augenzwinkern, das sie immer bei ihm auslöste, schien sich von weit her zu ihr durchzukämpfen.
«Ich wurde um meine Morgenwanderung gebracht, und jetzt habe ich keine große Lust aufs Frühstücken.»
«Es ist ja auch kein einladendes Wetter.»
«Nein.» Wieder wirkte er geistesabwesend. «Schade, wo uns nur noch so wenige Tage bleiben.»
«Es kann ja wieder aufklaren.»
Was für Unsinn sie daherredeten! Weder er noch sie scherten sich viel ums Wetter, wenn sie auf dem Land waren und Aussicht auf eine ordentliche Wanderung oder einen gemeinsamen raschen Galopp bestand. Zwar hatten sie Derartiges in letzter Zeit nicht gerade oft unternommen, aber schließlich war sie, um Maisie ein wenig zu ersetzen, ihrer Mutter zur Hand gegangen; außerdem hatte es dazwischen noch die Wochenendparty gegeben – und er half Lita bei Laune zu halten, offenbar mit Erfolg.
«J a … ich würde mich nicht wundern, wenn es aufklart.» Stirnrunzelnd blickte er wieder hinaus in den Himmel. «So gegen Mittag.» Er schwieg ein Weilchen, dann fuhr er fort: «Ich habe überlegt, ob ich Lita nach Greystock hinüberfahren soll.»
Sie nickte. Bestimmt aßen sie dann dort auch zu Abend, und Lita kam zu ihrem Tanz. Wahrscheinlich hatte Mrs Manford nichts dagegen, obwohl es erste Anzeichen dafür gab, dass sie der Tête-à-Tête-Dinner mit ihrer Tochter überdrüssig wurde. Aber sie könnten die Empfangsliste noch einmal durchgehen, und Pauline könnte über ihren neuen Messias reden.
Nona warf einen Blick auf ihren eigenen Briefstapel. Jetzt, wo sie wusste, dass die von ihren Augen herbeigesehnte Handschrift auf keinem Umschlag zu finden sein würde, vergaß sie oft fast bis zum Abend, ihn durchzuschauen. Stanley Heuston hatte kein Lebenszeichen von sich gegeben, seit sie sich an jenem Abend vor dem Haus getrennt hatten…
Die Tür ging auf, und Lita kam herein. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft erschien sie zum Frühstück. Sie blickte Manford an, als sie eintrat, und Nona sah, wie sich der Gesichtsausdruck ihres Vaters veränderte. Es war wie bei den seltsamen alten Porträts in den Schaufenstern der Restauratoren, wenn auf der einen Hälfte die Schicht aus Alter und Staub schon entfernt worden war und die eigentliche Oberfläche sichtbar wurde. Litas Auftritt ließ ihn nicht jünger oder glücklicher wirken; er schob ihm nur die Tarnkappe von der Seele, die das Leben einem Mann im Alltag überstülpt. Er wirkte entblößt, ungeschützt – ungeschützt, das war’s. Nona schaute zu Lita hinüber, nicht um sie zu ertappen, sondern um den Blick von ihrem Vater abzuwenden.
Litas Gesicht war wie immer vollkommen und ebenmäßig; unvorstellbar, dass innere Unruhe daran etwas ändern könnte. Es erinnerte an eine zarte Porzellanvase oder eine liebliche, schwül duftende Blume, die allenfalls ein wandernder Lichtstrahl treffen könnte, die sich jedoch niemals aus sich selbst heraus verändern würde. Sie lächelte mit großen Augen und leerem Blick, wie eine kleine Göttin aus Gold und Elfenbein auf ihre Anbeter hinablächelt, und sagte: «Ich bin früh aufgestanden, weil ich nicht aufstehen muss.»
Diese Begründung war für sie selbst absolut zufriedenstellend, die Wirkung auf ihre Zuhörer ließ jedoch zu wünschen übrig. Nona äußerte sich nicht dazu, und Manford lachte nur – ein hohles Lachen, das sichtlich nicht auf ihre Worte gemünzt war, die er offenbar gar nicht wahrgenommen hatte, sondern nur auf die lichtvolle Tatsache ihrer Anwesenheit; jene Art von Lachen, wie es der Anblick eines erstaunlichen Schleierfischs oder einer bewundernswürdigen Blume hervorruft.
«Ich glaube, es hört noch vor dem Lunch zu regnen auf», verkündete er unparteiisch dem ganzen Zimmer.
«Oh, wie schade – ich wollte meine Haare heute gründlich nass werden lassen. Meine Locken beginnen sich durch die lange Trockenheit schon auszuhängen», sagte Lita, während ihre Hand unschlüssig zwischen den Gerichten umherwanderte, die Powder ihr serviert hatte. «Grapefruit, glaube ich – obwohl es etwas furchtbar Kreuzfahrthaftes hat. Versprich es mir, Nona!» Sie wandte sich an ihre Schwägerin.
«Was soll ich versprechen?»
«Dass du mir keinen Korb mit Grapefruits schickst, wenn ich abreise.»
Manford blickte nach oben in ihr unergründliches Porzellangesicht. Sein Mund öffnete sich kurz, doch das Wort blieb unausgesprochen; er schob
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